: Zurück in die Zukunft
■ In den Wäldern von Massachusetts zehren heute vierzigjährige Hippies von der Aufbruchstimmung der späten Sechziger
Gunda Schwantje ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
In den Wäldern von Massachusetts zehren heute vierzigjährige Hippies von der Aufbruchstimmung der späten Sechziger
An der mittlerweile legendären Ecke Haight- und Ashbury -Street trafen sie sich, Joan und Stephen, damals, als Joan gerade 21 war. Stephen, im schmucken Flower-Power-Outfit, erzählte ihr von einer Kommune im Osten der USA, von der er gerade nach San Francisco gekommen war; Hippies lebten dort auf wenigen Hektar Land ihre Vision von love, peace and back to the roots. Joan, selbst auf der Suche nach „Neuem“, trampte kurzentschlossen quer über den Kontinent und klopfte bei der Renaissance Community bei Turnersfalls an. Knapp zwei Jahrzehnte ist das jetzt her.
If you are going to San Francisco... Die Klänge von Scott McKenzies Song über die Blumenkinder von 1967 schweben durch die Räume des liebevoll zusammengebastelten Holzpalastes. Während Joan umständlich bemüht ist, die tobenden Kids in Schach und die in der Pfanne brutzelnden Bratkartoffeln in Bewegung zu halten, gerät sie ins Schwärmen: „Ich wollte etwas anderes versuchen, als mir vorgelebt wurde, mich an der Jagd nach den big bucks nicht beteiligen. Anfang der Siebziger waren in den USA drei große Kommunen entstanden. Wie hier lebten auch in den beiden anderen manchmal bis zu fünfhundert Menschen. Besonders die Anfangszeit war bizarre and wild“, erinnert sie sich mit verträumtem Blick in den Augen. Verlassene Wohnmobile, Hütten und Tipis, die überall auf dem Grundstück verstreut vergammeln, zeugen von den bewegten Tagen.
Ruhig ist es geworden. Äußerlich haben sich die etwa fünfzehn Frauen und Männer, die sich zusammen mit ebensovielen Kindern auf drei Häuser nunmehr großzügig verteilen, nur unwesentlich verändert - sie, die „Blumenkinder“ der späten Sechziger, tragen noch heute die bunte Kleidung und langen Haaren dieser Epoche. Wären nicht hier und da graue Strähnen, man könnte meinen, die Zeit sei irgendwann stehengeblieben. Dope und Vietnam
„Meine Eltern hatten für meinen gesicherten Start ins Leben einige tausend Dollar in Aktien angelegt. Ihrem Wunsch habe ich entsprochen - auf meine Art. Die alten Herrschaften sind ausgerastet, als sie erfuhren, daß ich mein 'Vermögen‘ hier verteilt hatte“, berichtet Joan lachend. „Wir fühlten uns progressiv, hatten das Privateigentum abgeschafft.“ Die Runde, die sich nach und nach um den verkratzten Frühstückstisch gruppiert hat, kommentiert Joans Erzählungen mit zustimmendem Gegrummel. Als ob sie nur auf ein Stichwort gewartet hätten, lassen sie ihre ganz persönliche Geschichte aufleben: von dope und Vietnam ist die Rede einschneidende Erfahrungen allemal, gerade für die draft resisters, die Verweigerer der späten Sechziger. Gemeinsame Drogenerfahrungen werden zum Besten gegeben und schließlich auch die Entstehungsgeschichte der Community.
Bevor sie dieses Grundstück besiedelt hatten, lebten sie, die Hippies, in und um Turnersfalls, „der Ortschaft dort unten am Connecticut-River. Wir nannten uns damals Brotherhood of Spirit.“ Von überall aus den USA strömten junge Leute her und bevölkerten in Turnersfalls schließlich ganze Straßenzüge. „Wir waren fasziniert von der Idee, ein eigenes Stück Land zu kaufen. Das Geld dafür sammelten wir in einer Gemeinschaftskasse. Schnell hatten wir genügend bucks zusammen, um diese Idee in die Tat umzusetzen.“
Die Bürger von Turnersfalls waren entsetzt über die Langhaarigen, die sich ausgerechnet in ihrer verschlafenen Kleinstadt tummelten. Sie pflegten ihre Vorurteile und ihre Phantasien über das Zusammenleben der Hippies beharrlich und unbeirrt. Immer wieder waren die strangers, die Fremden, Ziel ihrer Anfeindungen. Als sich die „Störenfriede“ dann durch den Landkauf auch noch anschickten, sich in der Nähe von Turnersfalls fest anzusiedeln, rückte man ihnen mit einem alten public law des Bundesstaates Massachusetts zuleibe - eigens ausgebuddelt, um diesem öffentlichen Ärgernis ein Ende zu bereiten. Nach diesem Gesetz ist das Zusammenleben von mehr als drei Personen, die nicht verwandt sind, illegal. Die Community-Mitglieder gründeten daraufhin eine spirituelle Gemeinde und hielten der vollziehenden Gewalt ihrerseits als Antwort ein Rechtskonstrukt, die non -profit-organization, entgegen. Seitdem gilt zumindest behördlicherseits „die Ordnung“ als wiederhergestellt.
Voller Euphorie, Phantasie und Lust wurde das erste Haus konstruiert, ein dreistöckiger verwinkelter Palast, der sich im Grundgerüst jedoch eigenwillig schräg neigte: Auf dem Altar der Begeisterung waren tragende Wände geopfert worden. „Never mind!“ sagten sich die Erbauer und stützten das Gebilde nachträglich ab.
Geplant wird offenbar ohnehin ziemlich wenig. Der Alltag verläuft mit einer angenehmen Beschaulichkeit, Wörter wie „Streß“ und „Effektivität“ finden hier keine Entsprechung. Nach dem Frühstück machen David und ich uns in den Gemüsegarten, um Unkraut zu jähten. Auf den Hügelbeeten der Renaissance Community wird selbstverständlich biologisch -dynamisch angebaut; mit ihren Überschüssen beliefert die Kommune die Geschäfte der umliegenden Ortschaften. Probleme mit dem „leader“
David hat die Community vor fünf Jahren verlassen, kommt jedoch in regelmäßigen Abständen für ein paar Tage her „zum Auftanken“. „Ich hatte damals das sichere Wissen und berauschende Gefühl, Bestandteil einer neuen, kreativen Kraft zu sein und tatsächlich etwas zu bewegen. Die Zeit war sehr inspirierend und für mich persönlich von großer Bedeutung.“ Nach „draußen“ getrieben hat David die Organisationsform der Community, die er schließlich unerträglich fand. In jenen Jahren wurde die Community von Michael „geführt“, dem charismatischen „leader“ der Renaissance-Gruppe. Michael war unangefochtene Führungsgestalt, beinahe zwei Jahrzehnte lang, bis sein Einfluß mit zunehmendem Alkohol- und Drogenkonsum und abnehmender Präsenz schwand. Schließlich wurde er mittels einer unüblichen Abfindung „gebeten“, „sein Projekt“ sich selbst zu überlassen.
In der festen Überzeugung, spirituell begnadet und erleuchtet zu sein, hatte Guru Michael die Geschicke der Gemeinschaft nach seinem eigenen Gutdünken und seiner individuellen Befindlichkeit gelenkt. Er war es, der über die Organisation des Alltags entschied - ob die Nächte für eine Weile zu Tagen wurden, plötzlich lohnabhängige Arbeit für alle angesagt war oder an welchem business sie sich als nächstes versuchten. Ein profitables Busunternehmen sowie erfolgreiche Herstellungsbetriebe für T-Shirts und Kunstpostkarten gingen daraus hervor und verschwanden wieder, da die jeweiligen Initiatoren Gewinn und Know-how quasi als Reisegepäck bei ihrem Weggang mitnahmen. Baby-Boom
Mit derselben Selbstverständlichkeit intervenierte Michael in weitreichende persönliche Lebensbelange. Kinderwünsche und Schwangerschaften galten viele Jahre als not cool, verpönt, bis Michael Ende der Siebziger plötzlich seine Leidenschaft für Kids entdeckte und grünes Licht gab: Es boomte Babys.
Michaels „Führungsanspruch“ war Anlaß latenten Konfliktstoffs. Über einen gelegentlichen Protest ging die Rebellion jedoch nie hinaus, denn die von Michaels bizarrer Ausstrahlung eingenommene Anhängerschar war zahlreich. Unzufriedene wählten schließlich immer die individuelle Lösung: Sie gingen - wie David.
Formen alternativer Entscheidungsfindung seien ihnen in dieser Zeit des Experimentierens kein vorrangiges Problem gewesen, meint Pat. Da mit den kommenden Wintertagen nicht experimentiert werden kann, hacken wir hinter der nahegelegenen Scheune schon jetzt Holz für die kalte Saison
-und die ist lang hier im Nordosten der USA. Manchmal sei ihr das ständige Zusammensein während der kalten Jahreszeit schon anstrengend, denn den Winter verbringen die Hausbewohner vorwiegend um die einzige Feuerstelle, den Kamin im Gemeinschaftsraum. Es fehle an Geld, um die Zimmer zu isolieren und mit Öfen zu versehen, und eigentlich kümmere das niemanden wirklich.
Pat versuchte sich in bewegten Jahren an New York und Chicago und kann sich heute einen anderen Alltag als den in der Community nicht mehr vorstellen. „Die Städte sind mir zu laut, verschmutzt und korrupt. Jeder konkurriert mit jedem. Ich würde dort nicht mehr bestehen. Mit dem rat race will ich nichts zu tun haben.“ Auch wenn sie der Weggang liebgewonnener Menschen immer wieder irritiert und zum Nachdenken über ihre aktuelle Lebensform geradezu gedrängt hat, stand doch ihr Wunsch zu bleiben nie in Frage. „Hier lebe ich ohne großen Aufwand, und ich arbeite für Geld nur so viel, wie ich zur Existenzsicherung unbedingt brauche. Da wir in bescheidenen Verhältnissen leben, verlangt das keine große Energieanstrengung.“ Rückschritte
Inzwischen scheint in so mancher Hinsicht der kollektive Geist von einst dem Zeitgeist gewichen: Mittlerweile wurde die gemeinsame Lebensbewältigung wieder durch die individuelle, die Gemeinschaftskasse durch die Haushaltskasse abgelöst, das Privateigentum wieder eingeführt. „Jeder zahlt“, so Pat, „einen geringen Anteil für Nahrung und Versorgungsumlagen in die Haushaltskasse. Über den Rest des Einkommens, das wir vorwiegend außerhalb der Community durch Jobs verdienen, kann jeder persönlich verfügen.“
Von der feministischen Emanzipationsbewegung blieb die Rebellion der frühen Aussteiger offensichtlich unberührt: Die Frauen der Community kümmern sich auch heute um die „üblichen“ Bereiche. Das Aufbrechen geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens war hier nie ein Thema. Überhaupt war der Aufbruch der Hippies rein praktischer Natur. So entstand in den achtziger Jahren ein Gästehaus für Dropouts. An diesem geschützten Ort in den Wäldern von Massachusetts sollten Alkohol- und Drogenabhängige neuen Halt finden. Da über den Raum zum Leben hinaus aber keinerlei Unterstützung angeboten wurde, scheiterte das Projekt: Das Kollektiv war mit den Problemen überfordert, das Haus wurde geschlossen. Übriggeblieben ist das Angebot an Frauen, die aus Gewaltverhältnissen flüchten müssen, hier bei der Renaissance-Gruppe für eine Weile Unterschlupf zu finden.
Was für viele nur eine Lebensphase, ein kurzer intensiver Traum war, ist für Joan zum Lebensplan geworden. Viele derer, die durch die Community fluktuierten, besannen sich dann doch nach mehr oder weniger langem Probieren auf den vertrauteren Weg: „They went into business“, nachträglich und recht erfolgreich, weiß Joan zu berichten. Anderen wiederum waren die Bedingungen zu anstrengend und aufreibend, sie haben im „kleinen Kreis“ einen Neuanfang versucht; die Wälder von Massachusetts, Vermont und Maine sind mittlerweile voll von Lebensgemeinschaften, die weitestgehend autark und ökologisch sinnvoll leben, von Menschen, die sich in gewissen Maßen dem materiellen Verzicht verpflichtet fühlen. Resignation
Die Epoche der Blumenkinder setzte Zeichen: Der diffuse Minimalkonsens von love and peace mündete in neue Konzepte des menschlichen Zusammenlebens. Doch an einem bestimmten Zeitpunkt ist offenbar die Phase des langsamen Ausdifferenzierens und der Kontinuität neu erfundener Lebensformen lähmender Stagnation gewichen. Von der Begeisterung der bewegten Tage, von der die wenigen Dagebliebenen noch träumen, die für sie aber auch heute noch Lebensqualität bedeutet, ist so gut wie nichts mehr zu spüren. Einer der Gründe dafür ist wohl, daß sich die Community im Laufe der Zeit nicht mehr wesentlich verjüngt hat - sieht man mal von den Kleinkindern ab. Die jüngere Generation Amerikas hat keine Fragen an diese Vierzigjährigen, interessieren sich höchstens für deren praktische Kenntnisse im Bereich des biologisch-dynamischen Anbaus.
Über die Zukunft der Renaissance Community wagt auch Joan kaum zu spekulieren. Lange sitzen wir an diesem Abend schweigend auf den Stufen der porch im kühlen Wind. Gelegentlich schallt vom Nachbarhaus ein lautes Lachen herüber. In den letzten Jahren hat es keine Neuzugänge gegeben, dafür verließ immer mal wieder ein treues Gemeinschaftsmitglied die Stille Neuenglands. „Weißt du, ich glaube, die Zeit, in der ich noch mal aufbrechen könnte, ist vorbei, ich habe mich eingerichtet in meinem 'Anderssein‘.“ Es ist still geworden. Ein halber Mond schimmert vom klaren Himmel. Leise stehe ich auf und gehe ins Haus. Joan aber sitzt noch bis tief in die Nacht draußen auf der Terrasse.
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