: Die Anderen
■ Neues Deutschland: Das Parteiorgan der SED zum Konsumparadies im Westen / Financial Times: Rede von Nikolai Ryschkow / Sowetan: Treffen Mandela und de Klerk
Neues Deutschland
Das Parteiorgan der SED zum Konsumparadies im Westen:
Nachdem die DDR die Grenzen zum Konsumparadies für alle geöffnet hat, kann jeder den zur Schau gestellten Reichtum riechen, schmecken, befühlen, einen Zipfel davon erhaschen... Der Appetit ist auch durch den Devisenfonds nicht gestillt, sondern eher geweckt worden. Die glitzernden Warenberge der Überflußgesellschaft üben eine magische Anziehungskraft aus. Um den verlockenden Klängen der Sirenen nicht zu erliegen, ließ sich einst Odysseus an einen Mast fesseln.
Diese Möglichkeit scheidet für uns aus. Viel zu lange sind wir gefesselt gewesen. Mit der Realität einer offenen Grenze und eines deutlichen Produktivitäts- und damit Wohlstandsgefälles werden wir leben müssen. Dieses Gefälle zu verringern, bedarf es freilich harter, schweißtreibender Arbeit, durchdachter Konzepte, eines klugen Managements, einer leistungsanreizenden Wechselbeziehung zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Von Demonstranten in Leipzig hörte ich, in Briefen lese ich: Wir wollen keine Versuchskaninchen für einen neuen Sozialismus sein. Darum laßt uns die DDR als Konkursmasse der Bundesrepublik übergeben. Sozusagen zum Nulltarif, mitsamt der buchstäblich aus Trümmern aufgebauten Betriebe, den Genossenschaften in der Landwirtschaft, den allgemeinbildenden Schulen, den Kindereinrichtungen, den niedrigen Mieten etc. Was soll's: 'Wir leben doch nur einmal...‘
Es scheint, daß auch kein Einwand und kein Hinweis auf die schon jetzt zwei Millionen Arbeitslosen in der BRD, geschätzte sechs Millionen Arme, auf Bildungs- und Wohnungsnotstand dem Verlangen standhalten kann, lieber heute als morgen am Wohlstandskuchen teilzuhaben... Auf die Frage, warum sie für Wiedervereinigung sind, antworten Arbeiter, 'das ist der kürzeste Weg zum Wohlstand für uns‘. Wenn uns 40 Jahre DDR eine Lehre eingebleut haben, dann wohl die: Mißtrauen wir den scheinbar kurzen Wegen und den flinken Lösungen.
Financial Times
Die britische Wirtschaftszeitung ist alarmiert über die jüngste Rede des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai Ryschkow:
Nikolai Ryschkow hat eine geradezu beängstigende Rede über die sowjetische Wirtschaft gehalten. Es ist nicht das Ende, aber es könnte der Anfang vom Ende der sowjetischen Wirtschaftsreform auf absehbare Zeit sein. Seine Rede am Mittwoch wurde als die offizielle Version des Fortschritts der Perestroika dargestellt. Perestroika bedeutet Umstrukturierung. Ryschkows Version ist eine Umstrukturierung - aber rückwärts. Preisreformen werden verschoben und stufenweise eingeführt. Polizeimaßnahmen gegen den Schwarzmarkt werden verstärkt. Der Planungsprozeß wird intensiviert, um die Produktion von Investitions- zu Konsumgütern umzupolen. (...)
Sein Bericht ließ die 'wahren Gründe‘ der wirtschaftlichen Schwierigkeiten unerwähnt - das Fehlen von marktwirtschaftlichen Elementen in der Wirtschaft und der Mangel an Interesse unter den Arbeitern und Kollektiven an den Ergebnissen ihrer Arbeit.
Sowetan
Die größte südafrikanische Zeitung, die hauptsächlich von Schwarzen gelesen wird, schreibt zum Treffen zwischen dem ANC-Führer Nelson Mandela und Staatspräsident Frederik de Klerk:
Für einige, besonders im Ausland und bei Teilen der regierenden Klasse in diesem Land, war dies eine willkommene Nachricht. Andere, besonders jene, die gegen die Apartheid kämpfen, empfanden das Treffen eher als störend...
Die außerparlamentarischen Gegner der Apartheid, die Menschen also, auf die es ankommt, wenn sich ein Dialog in diesem Land entwickeln soll, sind unzufrieden damit, daß die Regierung Gespräche mit einem Menschen führt, den sie nach wie vor gefangen hält. Was immer dabei herauskommen mag, ist unter diesen Umständen ohne Bedeutung. Mandela hat nur dann die Autorität zu Gesprächen mit der Regierung, wenn er bedingungslos freigelassen wird und seine politischen Freunde konsultiert hat. Alles andere ist nur eine Schau für die internationale Presse.
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