: Poltergeist gegen Pazifismus
■ Stephani-Gemeinde und Forum „Bürgerrechte und Demokratie“ diskutierten „Soldaten-Urteil“
Ohne Günter Klein wäre die Veranstaltung weniger hefig und mit Sicherheit kürzer ausgefallen. Doch der CDU -Bürgerschaftsabgeordnete spielte den ihm zugedachten Widerpart mit solcher Inbrunst, daß die Gemeinde tobte und er trotz pastoraler Moderation kaum einen Satz ohne lautstarken Zwischenruf zu Ende brachte.
„Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder“ - diesen Satz hatte im August 1984 in einer schulischen Diskussionsveranstaltung der Arzt Dr. Augst angesichts der aktuellen Nachrüstungsdebatte und des nuklearen Verteidigungskonzeptes der NATO in Gegenwart eines Bundeswehr-Jugendoffiziers gesagt. Das Landgericht Frankfurt sprach ihn im Herbst diesen Jahres nach einer 7tägigen Berufungsverhandlung vom Vorwurf der Volksverhetzung und Beleidigung frei und löste damit eine Welle der Empörung unter christdemokratischen Parteigängern und Militärs aus.
Am Donnerstag abend war Annegret Moderegger, berichterstattende Richterin in jenem Prozess, in der Stephani-Gemeinde zu Gast, um den Kontext des Urteils, das noch nicht rechtskräftig ist, in der Bremer Öffentlichkeit zu diskutieren. Frau Moderegger machte deutlich, daß dem fünfköpfigen Richterspruch weder ein pauschales Plazet für eine solche Äußerung noch die generelle Straffähigkeit zu entnehmen ist. Das Gericht habe vielmehr abwägen müssen zwischen dem Per
sönlichkeitsrecht Einzelner und der Wahrnehmung berechtigter Interessen, in diesem Fall dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Und schließlich habe die Bundeswehr mit ihren Prozeßen gegen Kriegsdienstverweigerer eine Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts produziert, die „nur noch einen kleinen Schritt von der Augst-Äußerung entfernt ist“.
Das Urteil, in dessen Folge der Vorsitzende Richter so lange mit Morddrohungen überzogen wurde, bis er unter Polizeischutz gestellt werden mußte, hatte Politiker zu erbosten Interventionen veranlaßt. Stoltenberg sah ohne Kenntns der Urteilsbegründung
den Rechtsfrieden gestört, gegen die RichterInnen wollten führende CDU-Politiker Strafanzeige wegen Rechtsbeugung stellen. Moderegger: „Was die Politiker sich da geleistet haben, überschreitet das, was in einem schwebenden Verfahren erträglich ist.“
Doch auch in Bremen bestätigten sich ihre Befürchtungen. Günter Klein trat in die Fußstapfen seiner Bonner Parteifreunde und fuhr schwere Geschütze gegen das Urteil auf. „Rechtsfehlerhaft“, „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, „trifft die rechtsstaatliche Ordnung im Zentrum“ - seine verbalen Attacken ließen wenig zu wünschen übrig. „Das
schrankenlose Ausdehnen, das exzessive Interpretieren eines Grundrechts führt zum Auseinanderbrechen der Grundordnung“, sagte der CDU-Politiker.
Was die ZuhörerInnen so in Wallung brachte, waren Kleins Vereinnahmungen der grundgesetzlich verbrieften Rechte im Sinne gesellschaftlicher Mehrheiten. Wenn Geißler die Pazifisten „Wegbereiter des Faschismus“ nenne undim Bundstag sage „die Pazifisten haben Ausschwitz möglich gemacht“, dann habe kein CDU-Hahn nach strafrechtlicher Vefolgung gekräht, wurde ihm vorgeworfen. Wenn in Memmingen oder Mutlangen im Sinne der Staatsräson geurteilt werde, finde dies ungeteilten Beifall. Falle aber ein Richterspruch gegen die herrschende Politikauffassung aus, dann sei die richterliche Unabhängigkeit schnell im Würgegriff der Politiker. Als „schlechten Demokraten“ mußte sich Klein schimpfen lassen, als einen, der Grundrechte nicht zum Schutz von Minderheiten begreife, der das Urteil über eine solch provokante Äußerung nicht der demokratischen Öffentlichkeit, sondern dem Aburteil der Strafverfolgungsbehörden überantworte. Kleins Konter: „Bei Ihnen muß noch wesentliche staatsbürgerliche Grundausbildung geleistet werden“. Wer sich im Besitz der Wahrheit wähnt, muß eben nicht leise, differenziert und sensibel argumentieren, sondern darf poltern, zumindest in dieser Republik.
anh
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