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ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  „I“: eine Weile unerkannt

Das Erstaunlichste an A.R. Kane ist die vollkommen klischeefreie Art und Weise, in der sie es fertigbringen, mittels ihrer Musik über Liebe und Sex zu sprechen - eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Leistung in einem Zusammenhang, wo schon das kleinste vermarktbare Fetzchen quasi hysterisch mit Sex aufgeladen ist und Genrebildchen sich selbst zitieren. Nichts davon hier. Jedes der Stücke auf dieser Doppel-LP ist frei von der gängigen Komm-her-ich -fick-dich-Rhetorik, die seit mehr als 30 Jahren ein Essential jener Musikrichtung ist, die aus bekannten Gründen Rock'n'Roll heißt. Ich will damit nicht sagen, daß diese Entwicklung nicht auch ihr Gutes gehabt hat. Doch nicht nur das traurige Siechtum der Rolling Stones kann man als späten Wink dafür nehmen, daß die Unschuld dieser Unschuld seit längerem dahin ist.

„I“ heißt das Werk, das unüberhörbar daran erinnert. A.R. ( Alex und Rudi) Kane, zwei schwarze Briten, distanzieren sich nun aber nicht vom Rock'n'Roll-Animal, sie realisieren sich einfach anders, gehen andere Wege, und sogar ein Stück mit dem Titel „Super Vixens“ schafft es mühelos, nichts, aber auch gar nichts mit Russ Meyer gemeinsam zu haben. Die seltsame Bruchlosigkeit dieser Ablösung macht es um so schwerer, der Musik mit Wörtern beizukommen. Vieles ist verarbeitet, sogar eindeutige Trendbausteine: House-Elemente, Ska-Elemente, Soulchöre, Ethnopercussion, doch immer versickern die Assoziationen auf ihren Gängen. Ich gebe zu, daß ich diese Musik nicht verstehe, ich habe keine Theorie dazu und kann mir nicht wirklich vorstellen, wie sie komponiert ist. Ihre äußere Fassade ist Pop, aber darin sind Schlieren eingelassen, die den Höreindruck verwischen und in ganz andere Richtungen ziehen. Lärmfragmente und kunstvolle Störgeräusche. Als wäre das Spiel mit den Instrumenten und dem Studio eine gerade erst entdeckte Ekstasetechnik. „She loves me, she loves me, she loves me, love from outer space“: Das sind keine Stones, keine Steine mehr, auch die Vorstellung knirschender Zahnräder und hämmernder Hämmer paßt nicht. Eher werden bislang unidentifizierte Abkömmlinge des ozeanischen Gefühls geweckt, antiklaustrophobische Bilder von Vernetzung und Ausdehnung im Raum, nicht faßbar in den Science Fiction-Realisierungen der vergangenen Jahre, das heißt: keine Star Wars-Raumschiffe, die wie bodygebuildete Körper durchs All zischen, sondern eben...andersartige Gebilde, irgendwelche plasmatischen Dinger, drahtlose Sexmaschinen oder, sagen wir's: Ships of Love. Elastische, manchmal Hendrix-ähnliche Gitarren: And the wind cries... (irgendeinen Frauennamen).

Natürlich erinnert das alles gleich fatal an alte Hippievorstellungen von Kommen-Lassen und Kuschelsex, und das macht mißtrauisch. Ist sie nicht doch leer, die Musik, körperlos? Irgend so ein Tantra-Mist? Reicht das, dieses obsessive Saugen und Blubbern, das offensichtlich nirgends wirklich hinwill, keine Körperzone eindeutig besetzt, sich einfach nur ausdehnt? Will man es nicht doch haben, das Rock'n'Roll-Rumpsbumps, Hey...Baby...Tonight...Let's do it usw.? Schon fallen einem Betriffe wie „Dezentralisieren“, „Deterritorialisieren“ und „Wunsch“ ein, und man denkt mit Grauen daran, was passieren könnte, wenn die Rhizomtheoretiker das hier für sich entdecken. Doch dafür ist „I“ wohl doch zu sehr Pop, zu tief und zu diffus eingebettet in dieses U-Spielfeld, in dem die Phänomene sich gelegentlich eine Weile unerkannt halten können.

Dazu gehört heute viel, und naiv im Back to Earth-Sinne sind A.R. Kane gewiß nicht. Vieles spricht dafür, daß die Imagelosigkeit der Band einem klugen Kalkül entspringt. Indem das Duo in Interviews immer nur apodiktische Statements von sich gibt wie Wir sind so! Wir lieben das! oder Wir lassen es einfach geschehen! zwingt es die Schreiber zu wuchernden Metaphern, zu regelrechten Adjektivexzessen, die dann im nächsten Interview von A.R. Kane als völlig aus der Luft gegriffen und der Musik äußerlich abgetan werden. So wird das Interesse auf die Musik selbst zurückgezwungen, für deren Einordnung auch die Plattenhülle (sie ist, bis auf ein stilisiertes Auge, weiß und bilderlos) keinen wirklichen Anhaltspunkt bietet. Mit dem durchaus angenehmen Ergebnis, daß die Klänge von A.R. Kane ein Jahr nach ihrem Debütalbum („69“) und Wochen nach dem Erscheinen von „I“ ein immer noch nicht wirklich beschriebenes Blatt sind - und es auch nach diesem Text hier bleiben.

Thomas Groß

A.R. Kane: „I“ (Rough Trade)

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