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Abschied von Sacharow

■ Sowjetführung: Verbannung nach Gorki grobe Ungerechtigkeit / Gorbatschow will an der heute stattfindenden Beerdigung teilnehmen

Moskau (dpa) - Die Bürger Moskaus nahmen am Wochenende Abschied von dem am vergangenen Donnerstag im Alter von 68 Jahren gestorbenen sowjetischen Friedensnobelpreisträger und Bürgerrechtler Andrej Sacharow. Sein Leichnam war am Sonntag im Moskauer Palast der Jugend aufgebahrt. Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow und andere Mitglieder der Führung bezeichneten in einem Nachruf die Verbannung Sacharows 1979 nach Gorki als „grobe Ungerechtigkeit“. Das Parteiorgan 'Prawda‘ publizierte ein Gedicht des russischen Dichters Jewgenij Jewtuschenko über Sacharow. Die Beisetzung, an der nach eigenen Worten auch Gorbatschow teilnehmen will, soll heute auf dem vor den Toren Moskaus gelegenen Wostrjakowskoje-Friedhof stattfinden. Zuvor ist auf dem Luschniki-Gelände, dem Schauplatz von Kundgebungen oppositioneller Kräfte, eine zivile Trauerfeier vorgesehen.

Die Sowjetführung bezeichnete Sacharow in dem von der 'Prawda‘ veröffentlichten Nachruf als „Mann von Ehre und Aufrichtigkeit“. „Die Bitterkeit des Verlustes wird von jedermann geteilt, der ihn kannte, auch von jenen, die in einigen Punkten nicht mit ihm übereinstimmten“, hieß es in dem von Gorbatschow, Regierungschef Nikolai Ryschkow und anderen Politbüro-Mitgliedern unterzeichneten Nekrolog. Seine Verbannung nach Gorki sei ein „grober Fehler“ gewesen.

„Den friedlichsten aller Kämpfer“ nannte Jewtuschenko den Bürgerrechtler in seinem Gedicht mit dem Titel „Streik des Herzens“. „In unserer und der Welt Moral herrscht nun große Leere“, schrieb der Poet. „Laßt uns hoffen, daß unsere Herzen unter dieser Last nicht ermüden, nicht streiken, denn solange es ein Morgen gibt, wird es morgen einen Kampf geben.“

Auch zu dem Haus des Bürgerrechtlers in der Tschkalow -Straße kamen weiter tausende von Bürgern und verwandelten den Eingang in ein Blumenmeer. Sie entzündeten Kerzen vor einem Porträt Sacharows.

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