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Die DDR plante Internierungslager

DDR-BürgerInnen entdeckten „Geheime Verschlußsache“ in NVA- und Stasi-Anlage / Liste mit geplanten Internierungslagern in Burgen des Bezirks Gera: für „politisch anfällige Personen“ - wie z.B. Kirchgänger  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Offenbar in großem Stil plante die frühere DDR-Regierung, „politisch anfällige Personen“ einzubunkern. Thüringische Burgen und Schlösser sollten zu Internierungslagern umgebaut werden. Entsprechende Dokumente fanden DDR-Bürger aus dem Ort Tautenhain unweit Jena bei einer Besichtigung der lokalen Kaserne nebst Stasi -Abteilung.

Nach einem Bericht der Weimarer 'Thüringischen Landeszeitung‘ vom 13.12. erzwangen vorletzte Woche Tautenhainer Zutritt zu der Anlage. Bei dem gemeinsamen Rundgang mit Armee- und Polizeiangehörigen entdeckten sie auf dem Gelände unter anderem eine Tankstelle, einen 80 -Meter-Tiefbrunnen, Telefonzentrale mit Fernschreiber, Notstromaggregate; in großen Mengen auch Baumaterialien wie Waschbecken, Fliesen, Tapeten, obwohl laut Auskunft des zuständigen Leutnants der Befehl, „das Objekt aufzulösen“, bereits vor einem halben Jahr erteilt wurde.

Nach Besichtigung und Versiegelung verlangten die Tautenhainer bei einem Bürgerforum Auskunft über den Zweck der Anlage. Ein Teilnehmer beschreibt diese Veranstaltung: „Es war eine Farce. Objektleiter und Mitarbeiter wichen unseren Fragen aus, der Bürgermeister war betrunken, und der Kreisstaatsanwalt sprach von 'unliebsamen Erscheinungen'“. Wütende Leser forderten die 'Landeszeitung‘ auf, die Sache zu recherchieren. Wenige Tage später trat der Tautenhainer NVA-Major Kahn in dem Blatt die Flucht nach vorn an. Bei der Begehung hätten sich keine Akten gefunden - außer einem Ordner mit dem Stempel „Geheime Verschlußsache“. Kahn: „Drei Seiten darin sind mir besonders aufgefallen, die habe ich mir auch mehrmals durchgelesen. Auf der einen war eine Tabelle mit der sinngemäßen Überschrift 'Politisch anfällige Personen‘. Es waren aus dem Bezirk Gera Bürger, die nicht zur Wahl gehen, Ausreisewillige, bereits Ausgesiedelte bzw. Bürger, die die DDR verlassen haben, und Kirchgänger erfaßt. Die zweite Sache, und das ist ein Verbrechen, war eine Seite, auf der im Bezirk Gera vorgesehene Internierungslager aufgelistet waren. Sie wurden direkt so bezeichnet. Im Gedächtnis habe ich die Burg Ranis, die Leuchtenburg, das Schloß Greiz und das Schloß Weida. Es waren wesentlich mehr. Aufgeschlüsselt waren auch die Kapazitäten. Als drittes nenne ich eine Seite mit vorgesehenen Internierungssammelräumen. Für die nähere Umgebung waren das Saasa und Stadtroda. Das Dokument wurde dem Kreisstaatsanwalt übergeben.“ Von all dem will der Tautenhainer Stasi-Chef nichts gewußt haben. Angesichts der Dokumente indes habe er „erst begriffen, warum Bürger mich aufhängen wollten“.

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