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De Maiziere und das Kreuth(s) des Südens

Erster Sonderparteitag der CDU der DDR: Bekenntnis zum Markt und zur staatlichen Einheit als Eintrittskarte in das Adenauerhaus / De Maiziere im Amt bestätigt / Ovationen für Diepgen / Selbstbewußter Süden plant Landesverbände Thüringen und Sachsen  ■  Aus Ost-Berlin A.Smoltczyk

Vor dem „Kosmos„-Kino schäumten die Sachsen: „Diese preußische Quasselbude da drinnen! Ich brauche klare Aussagen zum gesamtdeutschen Staat und zum Markt, sonst kann ich mich an der Basis nicht mehr sehen lassen“, so wetterte ein Delegierter aus Karl-Marx-Stadt, und ein anderer: „Ich sage euch, die machen sonst eine CSU-Ortsgruppe auf bei uns. Die Basis setzt doch sozial und sozialistisch gleich.“ Jawoll, jawoll macht es ringsum. Und deswegen fordert auch Klingenthals Kreissekretär Wolfgang Hochmuth, den nicht nur die Physiognomie mit einem gewissen verstorbenen Bayern verbindet: „Der Parteitag muß ein Signal an die West-CDU/CSU sein, damit die ihr Mißtrauen verlieren.“ Jawoll, jawoll und falls die Preußen nicht kuschten, würden eben Landesverbände Sachsen und Thüringen gegründet, schließlich hätte man die meisten Mitglieder.

Am nächsten Samstag mittag war alles wieder gut. Die Delegierten nagten fröhlich an Lebkuchenherzen mit Aufschriften wie „Wir sind ein Volk“ oder „Wiedervereinigung“ - die hatte ein frühreifer Marktwirtschaftler aus Zechlin angekarrt -, und die CDU mit ihren 140.000 Mitgliedern hatte zu sich selbst gefunden, d.h. zu ihrer schwarzen Schwester aus dem Westen: eine „Volkspartei mit christlichem Profil“ war entstanden.

Da durfte dann auch Eberhard Diepgen kommen. Er mimte Emotion und zeigte den Delegierten, was er in der Rhetorikschule gelernt hatte: „Ihre Partei hat die Aufarbeitung mit großer Energie vorgenommen. Uns eint das Bekenntnis zur ökologischen und sozialen Marktwirtschaft.“ Man verstand: das „Te absolvo“ aus dem Westen. Selbst einen gemeinsamen Ausschuß von Ost- und West-CDU versprach Diepgen. Das Protokoll vermerkte stehenden Applaus.

Vierzig lange Jahre hatte die Ost-CDU ein Dornröschendasein als Blockpartei geführt. Sie berief sich auf christliche Soziallehre und stimmte stets mit den Einheitssozialisten so brav, daß ihr Exvorsitzender Gerald Götting mit dem Vorsitz der Volkskammer und 650.000 SED-Mark wg. Ausgleichszahlung belohnt wurde. Das Verhältnis zu den Kirchen war kühl, das zur Kirchenbasis eiseskalt. Als dann die Wende hereinbrach wie die apokalyptischen Reiter, war die Betroffenheit groß. Zwar schaßte die CDU als erste Partei ihren Chef - doch die Union drüben hörte weg und streckte ihre Fühler demonstrativ zu Pfarrer Eppelmann und seinem Demokratischen Aufbruch aus.

Der Berliner Sonderparteitag sollte nun den kalten Frosch CDU in einen schönen und - in Erwartung der Wahlkampfhilfe aus dem Adenauer-Haus - reichen Prinzen verwandeln. Noch trug der Entwurf eines Positionspapieres jenes Schandmal der alten Zeit, das obenerwähnte Sachsen so erboste: den „christlichen Sozialismus“. Die Rede des nahezu einstimmig wiedergewählten Vorsitzenden Lothar de Maiziere erwähnte dieses Übel nicht mehr. Er rief zur Buße auf dafür, daß die CDU sich mit dem „genetischen Defekt der DDR“: demokratischer Zentralismus eingerichtet hatte. Doch die Abrechnung mit der Vergangenheit fiel recht gemäßigt aus weshalb auch das prominente Hauptvorstandsmitglied Winfried Wolk seinen Parteiaustritt erklärte. Nach der Oblate der Buße reichte der umjubelte Vorsitzende Fleisch für den Wahlkampf: „Die katastrophale Situation in unseren Betrieben kann nur durch (...) Kapital aus westlichen Ländern geheilt werden. Das ist nicht Ausverkauf der DDR-Wirtschaft, das ist einzig die Logik des marktwirtschaftlichen Denkens, das auch wir uns anzueignen entschlossen sind.“ Das war schon nicht mal mehr „Ahlener Programm“ - das war ein Lambsdorff-Papier mit ökologischen Spurenelementen.

Auf den Gängen wurde man noch deutlicher: „Marktwirtschaft jetzt sofort, ohne Wenn und Aber“, ließ sich der neu gewählte Generalsekretär und Oberkirchenrat Martin Kirchner vernehmen, ein Jurist und ideologischer Rechtsausleger aus Thüringen, der von Volker Rühe vor dem Parteitag auf seine schwarze Seele geprüft worden war. Der forsche Vierziger mit roter Brille hat die Südländer hinter sich und soll „den Laden ausmisten“ - von Korrumpierten und „von uns Linken“, wie ein Pfarrer befürchtet.

Die sozial-christliche Linke der Ost-CDU bekam am Wochenende gegen den Jawoll-Block keinen Fuß auf den Boden. Gerade noch reichte es, eine frauenfreundlichere Überarbeitung des Parteistatus zu beantragen, und um vor einer Revision des Abtreibungsparagraphen zu warnen (die Frauen stellen zwar 45 Prozent der Mitglieder, im „Kosmos“ jedoch mußte man sie mit der Lupe suchen). Doch als jemand „unterschiedliche sexuelle Orientierungen“ ins Programm aufnehmen wollte, erntete er nur Amüsement und eine niederschmetternde Abfuhr. Ob die Forderung einer „Gruppe der 89“ um die Schriftstellerin Rosemarie Schuder nach vollständiger Abrüstung der DDR beim Parteitag im März eine Mehrheit finden wird, bleibt abzuwarten.

Generalsekretär Kirchner oblag es, die Präambel des Statuts dem nationalen Zungenschlag anzupassen. Mit großer Mehrheit wurde sein Antrag angenommen auf „Einheit der deutschen Nation - übergangsweise in einer deutschen Konföderation in einem freien und vereinigten Europa“.

Die letzten programmatischen Unterschiede zur CDU/CSU liegen in der unmißverständlichen Anerkennung der Oder-Neiße -Grenze. CSU-Generalsekrtetär Huber mußte sich von de Maiziere sehr deutlich sagen lassen, daß eine „Wiedervereinigung“ in den Grenzen von 1937 nicht in Frage komme.

Dennoch: die CDU der DDR ist zu einer konservativen Honoratiorenpartei geworden, die ihre christlich-sozialen Wurzeln, auf denen bislang Ideologie und Engagement ruhten, in einem Arbeitnehmerflügel CDA stillgestellt hat. Ihr Profil wird in Zukunft bestimmt von Leuten wie Werner Henning aus Heiligenstadt, einer katholischen Enklave in Thüringen. Seit einer Woche, seitdem die Opposition die Lokalverwaltung übernommen hat, ist CDUler Henning Kreisratsvorsitzender - eine Premiere in der DDR: „Für den Wahlkampf brauchen wir Know-how und Mittel. Deswegen hat jede Ortsgruppe Kontakte mit CDU/CSU-Ortsvereinen aufgenommen. Wir rechnen mit 60 Prozent.“ Bayerische Verhältnisse. Wenn sich in Kürze die Landesverbände Thüringen und Sachsen konstituieren, wird Maiziere aufpassen müssen, nicht zum flackernden „Nordlicht“ zu werden. Denn das ist schnell ausgeblasen, wenn der Wind dreht.

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