: „Da ist so viel Haß....“
■ Erinnerung an den 19. November 1989
Ich weiß nicht, was mich erwarten wird. Als zweite Generation nach Hitler habe ich mein Hauptwissen über die Schreckensherrschaft und Greueltaten aus der Schule.
Gegen viertel vor zehn machen wir uns auf den Weg. Zu zweit. Unsere Begleiter: ein riesig langer (Baum-)Stab und ein Casettenteil, verborgen in einer großen Tom Taylor -Plastiktasche, auf der die Freiheitsstatue abgebildet. Doch schon von weitem sehe ich, daß sie sich vor dem Kriegerdenkmal versammelt, einer Rede lauschen. Unser Auftauchen allein sorgt schon für einigen Tumult. Wir stellen uns in die letzte Reihe, allein, und immer wieder drehen sich die vor uns stehenden nach uns um. Erst mal sehe ich nur alte Männer, schätzungsweise sechzig bis siebzig People. „Die Kyfhäuser also“ hatte Günna Arera mir vorher schon zugeflüstert (sie hatten nämlich ihre Fahnen mitgebracht). Ich bin aufgeregt. Als er mich fragt: soll ich? nicke ich nur. Ja, ich stehe dazu. In der Nacht vorher habe ich eine Cassette der Sex Pistols zusammengeschnitten: zu hören sind erst mal nur die Schritte von X Soldaten, die im Gleichschritt marschieren. Ja, laß sie marschieren. Sollen es alle hören, was werden sie tun, die Hinterbliebenen? Sie zeigen häßliche Fratzen, stürzen sofort auf ihn, mit den Worten, was uns einfiele, zu stören? (...) Aus den Augenwinkeln beobachte ich, was mit Arera geschieht. Es gelang ihm, sich zu befreien, nun läuft er nach rechts und nach links, die alten Männer krückstockschwingend hinter ihm her. Ich will den Abstand zwischen uns nicht so groß werden lassen, sie sollen mich nicht einkreisen können. Ich weiche nach links, hebe den Stab aus dem Gebüsch. Wie der Stier aufs rote Tuch stürzen sich die Männer auf mich. Zu dritt rütteln sie an dem Stab, der zwischen uns wie eine Trennlinie markiert. Wieder stehen wir da, Auge in Auge, und da ist soviel Haß, daß ich weiß, wenn sie könnten, sie würden auf mich einknüppeln, wollen mich liegen sehen in Staub und Blut. Ich überlasse ihnen den Stab und sie gebärden sich wild - zerbrechen ihn. (...) Zwischenzeitliches Auftauchen von Gerd Pscheidl. Hastig schlägt er sich auf die Seite unserer Gegner. Er stellt sich Auge in Auge zu uns, nicht Rücken an Rücken, versucht zu schlichten. Was gibts da zu schlichten? Kommen noch zwei alte Kriegsveteranen vorbeispaziert: „Na, ist das alles an Solidarität, nur ihr Zwei?“ Ja, nur wir zwei. Jetzt lese ich die Erklärung des Initiativkreises Altmannshöhe, i. A. Pscheidl, der sich von der Aktion ihres nun ehemaligen Mitglieds in der Bürgerschaft distanziert. Sobald jemand etwas tut, was mit der Masse nicht mehr konform geht, fallen sie um. Wenn dies auch der Hintergrundgedanke des Modells ist, soll es bleiben, wo es ist.
Su Berkenkopf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen