: Hauptstadt der Revolution
■ Leipzigs lange Montagsmärsche als Fotodokumente im Presseclub
Eigentlich ist das nicht sein Genre, die Bilder von den Montagsdemonstrationen in Leipzig, mit denen er derzeit durch verschiedene Städte der Bundesrepublik reist. Rainer Dorndeck (Jahrgang 1941) ist in der Mode-und Werbefotografie der DDR zu Hause, und das seit über 20 Jahren. Doch wie so vieles sich änderte in der andren deutschen Republik, so galt auch das Interesse des diplomierten Fotografen spätestens seit den Ereignissen des 9. Oktober den Subjekten, die lieber Welt-als Modegeschichte schrieben.
Der Bremer Presseclub zeigt seine Bilder zusammen mit Pressebeiträgen aus und über Leipzig in der Ausstellung „Wir sind das Volk“ - Leipzigs langer Montagsmarsch. Dorndeck, der jeden Montag mit auf der Straße war,
dokumentiert mit seinen Scwarz-Weiß-Bildern auch die Entwicklung der Ereignisse. Den Eindrücken von der Nicolai -Kirche, der schützenden Bastion zu Beginn des Straßenaufstandes, in der das gemeinsame Friedensgebet Ruhe und Rückhalt gab, folgen beeindruckende Bilder vom Bürgerkomitee auf dem Balkon des besetzten Stasi-Gebäudes.
Leipzig als Keimzelle der revolutionären Veränderungen in der DDR, vom Spiegel als „Hauptstadt der Revolution“ ti
uliert - das weckt Erinnerungen an vergangene Größe und große Söhne. Bei der gestrigen Eröffnung der Ausstellung durften sie alle noch einmal Revue passieren: die Urahnen der deutschen Arbeiterbewegung, deren Wiege in Leipzig stand; die Protagonisten der Reformationsbewegung, die in Leipzig studierten und agitierten; die Helden der schönen Künste, in deren Lebenslauf die Stadt eine Rolle spielte. Von Bach bis Bloch, von Bebel bis Jean Paul - bislang waren es nur die berühmten Männer, die der Stadt ein
Denkmal setzten. Mit den langen Montagsmärschen haben sich die BewohnerInnen nun selber in den Rang von Geschichtsheroen gelaufen.
Aber sie haben es auf wahrhaft deutsche Art gemacht, tugendsam und gesittet. Die Bilder im Presseclub sprechen da eine beredte Sprache. Der erste Eindruck: Revolution wird nur abends gemacht. Nach Feierabend und nur solang, daß man am nächsten Morgen ausgeschlafen zur Arbeit antreten kann.
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