Kunst in der Übersicht

■ Zur Vorstellung des neuen dreisprachigen Kunsthallen-Führers

Genauso hab‘ ich mir die Vorstellung eines neuen Kunstführers vorgestellt: Man sitzt gedämpft an einem Tisch, eventuell mit Kunst im Rücken oder vor Augen, trinkt aus Seltmann-Weiden-Tassen bitteren Kaffee, und lauscht den Ausführungen grauhaariger Kunstkenner, wirkliche Männer. Nur mit Zimtsternen hatte ich nicht gerechnet. Das tut dem Vorurteilsvermögen weh. Und: sind nicht auch die Herren ganz nett? Aber was heißt das schon, das gehört ja wieder mal nicht hierher, es geht schließlich um einen Führer durch die Kunst, ein veritables Kunstprodukt, dessen eines Kriterium vor allem ist, von sich zu handeln. Und da handelt man nicht von Zimtsternen oder ob Männer nett sind oder nicht.

Das wichtigste also zuerst: Der neue „Führer durch die Kunsthalle“ ist dreisprachig und heißt insgesamt so: „eine auswahl der hauptwerke - masterpieces in the collection choix de chefs-d'oeuvre“. Er ist also neuer und besser als der alte und eben dreisprachiger. Wegen der vielen ausländischen Gäste und überhaupt wegen Sitten und Gebräuchen in allen anderen größeren Museen, wo der Trend auch dahingeht, auch englische und größere Schilder anzubringen am jeweiligen Kunstwerk. Für den neuen Katalog sind 57 von 93 zur Auswahl stehenden Künstler ausgewählt worden, mit interpretatorischen Texten jeweils rechts vom Bild, was der drei Sprachen wegen nicht einfach war. Vom Deckblatt schaut Sylvette nach links, ja, jene Sylvette, die sich durch „schwarze Linien und schattige Flächen ... deutlich vor dem dunklen Hintergrund ab(hebt)“. Auffällig ihr hoher Pferdeschwanz, der von der rechten oberen Bildkante in die rechte untere Bildkante abknickt, wie ein

Pferdeschwanz nie knicken würde. Picasso eben. Warum Sylvette? Weil, so Siegfried Salzmann, Kunsthallendirektor, Sylvette eine Mona Lisa vergleichbare Anziehungskraft besitze, also jetzt auf Bremen bezogen. Und gleichzeitig die Malerei der französischen Gegenwart.

Ganz klar muß man sehen und sagen, daß dieser neue Katalog ohne die Waldemar Koch Stiftung nicht bezahlt worden wäre. dafür sitzt Herr Wegener mit bei Tisch, bis 75 mit vorgestanden. Der alte Herr hat Lust auf eifrige Erörterungen, und erzählnuschelt die Geschichte der Stiftung, die einen gemischten Besitz keiner Nachkommenschaft nachlassen konnte. Nach dem Tode auch von Frau Koch sei nun jeglicher Nießbrauch weg und alles Geld für Bremen und die Kunst einsatzbereit. Herr Wegener dankt Herrn Salzmann, daß er „EG-mäßig“ denke, und auch sonst ist der Gönner visionär a jour: Herr Salzmann, unternehmen Sie! „Wenn ich Sie wäre, würde ich das Gelände (zwischen Garage, zu verschwindendem Kriegerdenkmal und Kunsthalle) aquirieren“, Kunst als Verbindungswegerich. Weserburg, so ein dummes Zeuch, Sammlermuseum, viel zu weit weg. Aber mann gönnt ihm seinen Diskurs nur bis hierher, dann schauen wir wieder zurück ins Kupferstichkabinett, wo auch unser Tisch steht. Kurz dazu: 230 000 Blätter, wo will man da Akzente setzen, wo auch so viel in Schubladen liegt? Wenigstens wissen um ihren Wert die Fachleute. Eventuell noch manche Bremer. Aber es gibt auch Erfreuliches. Die erste Rate für den Umbau ist bewilligt. Das gerhard Marcks Haus wird nämlich ausgebaut und die Kunsthalle renoviert. Die „optisch starke Überhängung“ soll damit aufhören.

Außerdem ist eine bayrische Klimatisierung - das „Temperiersystem“ - bestellt, wenigstens zehn Jahre erprobt und eigentlich simpel. Ein Wandel freut Siegfried Salzmann besonders: der Wandel zur Öffnung der öffentlichen Hand. Diese hält jetzt statt der bisher 30 000 eine halbe Million bereit, mit der man ankaufen kann. Die Forderung nach einer ganzen Million blieb schon unterwegs auf der Strecke. Der Direktor ist aber optimistisch, was die weitere senatorische Einsicht angeht, daß die privaten Hände nicht mehr allein zuständig zupacken sollen. Und weil jetzt auch noch das Kunsthallen-Cafe schicker und kommunikativer wiedereröffnet werden soll, scheiden wir versöhnt mit Kunst und Kommerz. Nur die Zimtsterne bleiben liegen. Claudia Kohlhas

Der Katalog kostet DM 7.50