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Europart: Rauswurf nach Konkurs

■ Aus bei Europart / In 20 Jahren 6.000 Arbeitsplätze verloren

Im Stehen nahmen die 500 letzten Beschäftigten gestern nachmittag Abschied von ihrem Betrieb. Und das nicht wegen der Feierlichkeit, sondern weil es bei der letzten Betriebsversammlung keine Stühle in der Halle gab. „Wir haben diesen Kampf verloren“, tönte es aus dem Mund Gerhard Fischers, des Betriebsratsvorsitzenden und SPD -Bürgerschaftsabgeordneten, der um große Worte nie verlegen war. 38 Millonen Mark Schulden habe die Geschäftsführung hinterlassen, teilte Fischer mit. Johlen und Gelächter in der Halle. Fischer lobt die Belegschaft, weil sie brav bis zum Scnluß gearbeitet hat, in der Hoffnung, daß doch noch ein Unternehmer käme und die bankrotte Firma aufkauft. Der Dank des Konkursverwalters und der Gläubiger: 600 Mark Weihnachtsgeld brutto.

Der Niedergang der Bremer Radio und Fernsehindustrie kam gestern zu seinem Schlußpunkt. 6.000 Menschen arbeiteten in den

60er Jahren im Nordmende

Stammwerk, wo sich gestern die letzten 500 Arbeitnehmer zum letzten Mal versammelten. Sie waren die treuesten und beim Rauswurf die billigsten.

Urlaubsansprüche, Abfindungen für den Verlust ihres Jobs gehen aller Voraussicht nach in dem Konkurs unter. „Ansprüche erheben können sie“, sagte Konkursverwalter Richard Schulze gestern, „aber befriedigt werden die kaum.“ Betriebratsvorsitzender Fischer dankte dem Konkursverwalter für die gute Zusammenarbeit. Dann verlas sein Stellvertreter eine Liste von Firmen, die Arbeitskräfte einstellen: Keiper Recaro, Bremer Werkzeug- und Maschinenbau, Könnecke. Als der Name der Wurstfirma fällt, lacht die Versammlung. „Das ist für mich alles belanglos“, sagt ein ergrauter Elektroniker. „Ich bin jetzt 53 und habe mein ganzes Arbeitsleben bei Nordmende und den Nachfolgern verbracht, jetzt wird wohl nichts mehr kommen.“

Die mieseste Zeit seien die letzten zwei Jahre gewesen, berichtet er, als ehemalige Thomsen-Direktoren mit eigenem Geld und Bremer Landesmitteln versuchten, die Firma Europart auf die Beine zu stellen. Anfang der 80er Jahre hatte der französische Konzern Thomsen die Nordmendewerke aufgekauft, um so gegen die japanische Konkurrenz bestehen zu können. „Europart, das war vielleicht ein Desaster. Weil sie geschäftlich nicht klarkamen, haben sie versucht, hier die Leibeigenschaft wieder einzuführen.“ Sein 55jähriger Kollege ergänzt: „Arbeitslos hin oder her, ich bin froh, daß ich bei Europart nicht mehr arbeiten muß.“

„Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames Weihnachtsfest“'sagt der Konkursverwalter zum Schluß. Und, als habe er ein schlechtes Gewisssen: „Wenn Sie mich auf der Straße sehen, grüßen sie mich ruhig.“

mw

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