: Globale Sicht aneignen-betr.: "Realismus statt Systemfetischismus", taz vom 13.12.89
betr.: „Realismus statt Systemfetischismus“, taz vom 13.12.89
(...) Hubert vergißt wohl, daß die RealistInnen sich immer nur mit den Federn derer schmücken, die Unmögliches fordern und sich vor zehn Jahren als Spinner oder Systemfetischisten haben auslachen lassen. Letztendlich haben sich immer nur die Ideen bewährt, die nicht auf die momentane Umsetzung mit massenhaften Kompromissen setzten. (...)
Die Vorgänge in der DDR haben mich in einer ganzen anderen Hinsicht bestärkt, die mir zu wenig Erwähnung findet: die gesellschaftliche Situation des Westens und der braven und fleißigen BRD ganz besonders.
Daß die DDRlerInnen nun ausrasten und bundesrepublikanische Verhältnisse a la CDU wollen, mußte jedem/r klar sein, der/die die DDR vor dem Oktober/November 1989 kannte. Aber daß nun westliche Gesellschaftsverhältnisse als das zu erreichende der westlichen Welt (heute europäischen Osten) dargestellt wird, „ethisch fundiert, pragmatisch“, selbststeuernd, ist ja wohl unglaublich.
Da bedenkt unser Hubert wohl nicht, auf wessen Beinen unser voller Wanst hier steht, und wie wunderbar die menschlichen Beziehungen hier im Westen sind angesichts der Hechelei hinter dem Kollegen „schnöder Mammon“. Ich pfeife auf Deine „Gefühle der Zusammengehörigkeit aufgrund nationaler und kultureller Identität“, ich habe sie mit der Bierbauchmasse der BRDlerInnen nicht, und schon gar nicht mit unseren Brüdern in der DDR, die jetzt auch ihr „Menschenrecht auf BMW“ verwirklichen wollen.
Wir müssen uns endlich eine globale Sichtweise jeder gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Handlung aneignen. Kriterium können nur Menschen sein, und nicht Deutsche, Russen, Amis usw. Auch nicht: erst mal wir und dann die anderen. Dabei müssen wir prüfen, inwieweit wir andere für uns arbeiten und bluten lassen, bei jeder Banane und jedem Auto, das wir kaufen, jedem Job und jeder Reise.
Die Verhältnisse, diese Prozesse zu begreifen, waren noch nie so gut wie heute, die Welt noch nie so klein. Doch da fangen die Deutschen wieder mit ihrer Kleinkrämerei an und bestätigen ihre Geschichte. Gründen wir eine neue Bewegung, eine neue Partei. Sie wird eh kommen.
Thomas Tietz, Hamburg
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