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Ceausescu an der Wand

Gespräch mit dem Schriftsteller Alexandru Papilian  ■ I N T E R V I E W

Alexandru Papilian wurde 1947 in Paris geboren. Bald nach seiner Geburt zogen die Eltern zurück nach Rumänien, wo er sechs Bücher veröffentlichte. Er kam 1984 nach Frankreich und setzte dort seine Schriftstellerkarriere fort. Zur Zeit ist er Leiter der rumänischen Abteilung von Radio France International.

taz: Herr Papilian, wie schätzen Sie die derzeitigen Ereignisse in Rumänien ein?

Alexandru Papilian: Sie sind ein Phänomen, das einer Gesetzmäßigkeit der Logik entspricht. Es kommt zwar etwas später als in den anderen sozialistischen Ländern, aber was dort geschehen ist, entspricht derselben Gesetzmäßigkeit. Es hat gereicht, daß ein einziger Riß entsteht, damit das von Stalin aufgebaute Gebilde zusammenzustürzen beginnt.

Glauben Sie nicht, daß sich die Situation in Rumänien grundsätzlich von der in anderen sozialistischen Ländern unterscheidet?

Ich glaube nicht, daß sie sich grundsätzlich unterscheidet. Es gibt aber sehr wichtige Unterschiede. Der wichtigste besteht wohl in der Persönlichkeit von Nicolae Ceausescu. Er ist ein äußerst gewandter Mensch, der sich sowohl beherrschen als auch äußerst gewaltsam und grausam sein kann. Diese Eigenschaften wurden oft unterschätzt. Jetzt werden sie offensichtlich. Doch was den Hintergrund betrifft, glaube ich nicht, daß es große Unterschiede gibt.

Welche Chance, eine Änderung herbeizuführen, geben Sie den derzeitigen Bewegungen in Rumänien?

Die Tatsache, daß der Aufruhr trotz grausamen Polizei- und Militäreinsatzes in Temeswar noch fortgesetzt wird, läßt darauf schließen, daß sich das Ganze ausweiten könnte. Selbst wenn jetzt sofort keine Änderung eintritt, wenn Ceausescu nicht heute oder morgen gestürzt wird, ist seine Stellung trotzdem ernsthaft ins Wanken geraten.

Gibt es nach Ihren Informationen eine Möglichkeit, daß das Regime aus dem Apparat heraus beseitigt werden könnte, von der Armee oder gar vom Geheimdienst, der Securitate?

Das glaube ich nicht. Nur die Gewalttätigkeiten auf den Straßen können an der Macht Ceausescus rütteln, oder - was völlig paradox wäre - eine Intervention von außen, eine Intervention der Truppen des Warschauer Paktes.

Schätzen Sie eine Intervention als realistisch ein?

Sie kommt mir unwahrscheinlich vor. Aber wenn die Gewalttätigkeiten sich ausdehnen und die rumänische Armee sie nicht in den Griff kriegt, dann wird eine Intervention unvermeidbar.

Was kann das Ausland für Rumänien tun, und dabei meine ich nicht nur das westliche Ausland?

Die Tatsache, daß in der DDR, in Polen, in Ungarn große Kundgebungen stattfinden zur Unterstützung des rumänischen Volkes, ist etwas Außerordentliches, was man sich früher nicht vorstellen konnte. Aber was folgt, ist etwas komplizierter. Denn nach Ceausescu wird ein Machtvakuum entstehen. Die Opposition, die zur Zeit nicht existiert, die vernichtet ist, wird nicht vorbereitet sein und wird die Macht nicht übernehmen können.

Was kann das Ausland für Rumänien tun? Kann eine konzentrierte Isolation die Lage verändern?

Ganz bestimmt, wenn sie verbunden ist mit einem Wirtschaftsboykott. Und alle politischen Diskussionen müßten abgebrochen werden, denn mit Ceausescu kann man nicht verhandeln.

Sind Sie auch für die Unterbrechung aller diplomatischen Beziehungen?

Von meinem persönlichen Standpunkt aus, ja.

Interview: Helmuth Frauendorfer

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