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Dona Violeta Chamorro im Lande der Contras

Die nicaraguanische Contra steigt durch Unterstützung der Nicaraguanischen Oppositionsunion (UNO) in den Wahlkampf ein / Die Präsidentschaftskandidatin der UNO ist auf Wahlkampftournee und wird von konservativen Kleinbauern und reichen Viehzüchtern bejubelt / Umfragen prognostizieren Wahlsieg der Sandinisten  ■  Aus Camoapa Ralf Leonhard

„Wenn sie uns den Sieg rauben, dann geht der Krieg weiter“.

Der Viehzüchter Carlos Gomez sieht gar keine andere Möglichkeit. „Und wenn die Sandinisten ohne Betrug gewinnen, werden wir trotzdem behaupten, sie hätten uns den Sieg geraubt“, verkündet der untersetzte Besitzer der Hacienda und füllt dabei neuerlich sein Glas mit einer Mischung aus weißem Rum und Coca-Cola. Ein Schuß Zitrone darf nicht fehlen. Im Hinterhof werden gerade drei Rinder zerlegt, die Gomez für das Fest am nächsten Tag spendiert hat.

Die lokalen Vertreter der UNO (Nicaraguanische Oppositionsunion) sitzen bei einem Gläschen zusammen und planen die letzen Details für das große Ereignis: Am nächsten Tag wird „Dona Violeta“, die Präsidentschaftskandidatin der UNO, zu einer Wahlveranstaltung in Camoapa erwartet. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen: Lastwagen mußten gemietet werden, um die Campesinos aus den entlegenen Berggemeinden in die Stadt, rund 115 km östlich von Managua, herzubringen. Carlos - für seine Freunde „Chombito“ - ist mit 40 Farmarbeitern hoch zu Roß gekommen. Die Hälfte seiner Leute mußte allerdings auf geheime Schleichwege ausweichen, da sie als Wehrdienstflüchtige auf der Straße Gefahr gelaufen wären, einer Armeekontrolle in die Arme zu laufen. Um halb zehn Uhr nachts fahren laut hupend drei Lastwagen ein, johlende, fähnchenschwenkende Campesinos auf dem Verdeck. Sie sind in La Embajada, rund 60 km nordöstlich von Camoapa, mehrere Stunden von der Sandinistischen Armee aufgehalten worden. Die Soldaten sind auf der Suche nach Deserteuren und aktiven Contras, die sich die Wahlveranstaltung nicht entgehen lassen wollen.

In zehn Jahren Revolution haben die Sandinisten in Camoapa nicht Fuß fassen können. „Wir sind hier alle Reaktionäre“, verkündet Adan, einer der lokalen UNO-Chefs. Konservative Kleinbauern und reiche Viehzüchter hatten kein Interesse an Agrarreform oder genossenschaftlichem Arbeiten. Und die Contras, die hier seit 1984 verstärkt operieren, fanden auf den hügeligen Rinderfarmen Unterschlupf und bei den gottesfürchtigen Campesinos Verständnis und Verpflegung. Die sandinistischen Kader sind nach und nach ermordet worden. Ein Leutnant der Staatssicherheit schätzt, daß die Contras in der gesamten Region im Laufe der Jahre mehr als 600 Leute umgebracht haben. Als alle wahlberechtigten Staatsbürger im vergangenen Oktober aufgerufen waren, sich in die Wahlregister einzutragen, erreichte Camoapa 130 Prozent der vom Wahlrat geschätzten Einschreibungen. Die Contra-Chefs aus den umliegenden Bergen hatten ihre Leute angewiesen, sich einzutragen, um am 25.Februar für die UNO stimmen zu können. In La Embajada lagen die Eintragungen sogar 100 Prozent über dem Soll. Den Konterrevolutionären kam dabei die Regelung entgegen, daß in Ermangelung von Ausweispapieren zwei Zeugen genügten, die vor der jeweiligen Wahlkommission die Identität des Einzutragenden bestätigten.

Auch in der Wahlkampagne selbst sind die Contras für die UNO aktiv. „Wir wurden angewiesen, die Campesinos zur Stimmabgabe für die UNO aufzufordern“, erzählt Comandante „El Chileno“, der Ende Oktober der Konterrevolution den Rücken gekehrt hat, „wer nicht UNO wählte, würde Probleme bekommen“. Dona Rigoberta Gonzalez nennt diese Tätigkeit, die mit der physischen Eliminierung sandinistischer Aktivisten Hand in Hand geht, „Bewußtseinsbildung“. Sie selbst hält sich zugute, einem sandinistischen Oberleutnant das Leben gerettet zu haben, der zufällig bei einem Bauern in der Gemeinde Tesorera zu Besuch war, als die Contras ihre bewaffnete Wahlempfehlung abgaben. Sie versteckte den Offizier, bis die Lektion vorbei war. „Dann riefen wir alle, 'Es lebe die UNO‘ und 'Hoch die Freiheitskommandos'“. Sie hätte ja nichts für die Sandinisten übrig, aber als Christin sei sie gegen Blutvergießen, erklärt Dona Rigoberta.

Farad, der Herbergswirt und Betreiber des Restaurants „Loma Linda“, ist als palästinensischer Einwanderer ein unparteiischer Beobachter. Er schätzt, daß die regierenden Sandinisten in Camoapa keine fünf Prozent der Bevölkerung hinter sich haben. Tatsächlich scheint die ganze Stadt auf den Beinen, als der Konvoi aus Managua mit der Präsidentschaftskandidatin am 9.Dezember endlich eintrifft. Die Kinder schwenken blau-weiße Wimpel, und die Campesinas aus den umliegenden Bergen haben Lippenstift und ihr Sonntagsgewand angelegt. Eine jubelnde Menge von fast tausend Reitern und fünfmal soviel Fußvolk füllt den Sportplatz, an dessen Schmalseite eine Tribüne errichtet wurde. Halbwüchsige Mädchen brüllen im Sprechchor Parolen ins Mikrophon, und die Agitatoren schreien sich die Kehle heiser. Die überschwengliche Stimmung wird nicht einmal durch die unbeholfene Ansprache der Spitzenkandidatin getrübt. Violeta Chamorros mangelnde Eloquenz ist bereits sprichwörtlich. Doch Juan Gaitan, einer der engsten Berater der Verlegerwitwe, versteht es, aus der Not eine Tugend zu machen: „Mit einem anspruchsvollen Diskurs würde man die Leute hier überfordern.“ Mit fast 70 Prozent Analphabeten zähle die Zone zu den am wenigsten entwickelten. Den Campesinos genüge es, wenn man ihnen verspricht, daß die Sandinisten verlieren und nachher alles besser werde.

Mit der Möglichkeit, daß die FSLN in den Wahlen vom 25.Febraur bestätigt wird - und alle seriösen Umfragen deuten darauf hin - wollen sich in Camoapa die wenigsten befassen. „Ich würde mich dem bewaffneten Kampf anschließen“, erklärt die 22jährige Margarita, die das UNO -Wahlkampfbüro leitet. Und selbst der alte Reifenflicker, der während der Arbeit pausenlos Cususa - selbstgebrannten Maisschnaps - offeriert, will lieber „den Heldentod sterben“, als unter einer Regierung weiterleben, die die Wirtschaft ruiniert hat. Der Schritt zum bewaffneten Kampf wäre für das Gros der UNO-Aktivisten in Camoapa nur ein gradueller. Sie sprechen von „den Kindern da draußen in den Bergen“, mit denen sich auch problemlos eine Begegnung arrangieren läßt, wenn man es nicht eilig hat. Auf der Farm von Carlos Gomez, 40 km bergeinwärts, sind die „Freiheitskommandos“ oft gesehene Gäste. Und der Viehzüchter brüstet sich, daß sie bei ihm nie Hunger leiden müssen. Für den Ex-Contra „El Chileno“ ist das eine Selbstverständlichkeit: „Die Contras und die UNO sind ein und dasselbe. Nur sind die einen bewaffnet und die anderen zivil.“

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