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Litauen: KP will Partei unter anderen werden

Parteitag der lettischen KP eröffnet / Mehrheitsfraktion für partnerschaftliche Beziehungen zur KPdSU und zu anderen Gruppen / Kleine Minderheit will Neuanfang nach ungarischem Vorbild / Für die Wahlen im Frühjahr sind Weichen für Mehrparteiensystem schon gestellt  ■  Aus Moskau Barbara Kerneck

„Manche meinen, daß es kein nächstes Mal mehr geben wird“, meint der Beamte des litauischen Außenministeriums im Spaß, als er zum 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Litauens einlud, der gestern begann. Das Ereignis warf von schweren Befürchtungen geschwärzte Schatten voraus. Auf dem Programm der KP Litauens steht der Übergang zu einem Parteiaufbau von unten: Ziele und Taktik, organisatorische Fragen und nicht zuletzt die Besetzung der wichtigen Parteiposten in der Ostsee-Republik sollen in Zukunft nur noch Sache der litauischen Kommunisten allein sein und nicht mehr vom „demokratischen Zentralismus“ Moskaus aus diktiert werden.

Der Ruf nach föderativem Aufbau der KPdSU von unten, die sich diesem Modell zufolge aus einer Reihe völlig selbständiger nationaler KPs zusammensetzen würde, verletzt die traditionellen Vorstellungen von der „Einheit“ der Partei. Gleich zu Monatsbeginn veröffentlichte Generalsekretär Gorbatschow in der 'Prawda‘ seinen von tiefer Besorgnis gekennzeichneten Brief „An die Kommunisten Litauens“.

In diesem Dokument beschrieb er die nationalitätenübergreifende Parteiorganisation als letzte Klammer des zerfallenden Sowjetimperiums. Indirekt gab Gorbatschow zu verstehen, daß nur noch dieser Wall die Sowjetbevölkerung vor Chaos und Anarchie bewahre. Konkret für die Bevölkerung Litauens sah damals mancher Beobachter bei einem derart ketzerischen Verhalten der dortigen Partei eine Militärinvasion voraus.

In den letzten Wochen haben aber allmählich die Massenmedien, allen voran das zentrale Fernsehen, einen für den „Sezessionsbeschluß“ günstige psychologische Basis geschaffen. Ausführlich und wiederholt kamen in den Nachrichtensendungen der litauische Parteichef Brasauskas und Bürger, die seine Linie vertreten, zu Wort.

Die Hardliner im Zentralkomitee der KPdSU haben inzwischen für den Fall vorgesorgt, daß die Parteizentrale entmachtet wird, und sich auf dem letzten Plenum ihrerseits eine Operationsbasis auf nationaler Grundlage eingerichtet: das neue KP-Büro für die „Russische Föderation“.

Die sich wandelnde Atmosphäre ermöglichte Brasauskas in seinem Rechenschaftsbericht zu Beginn des Parteitags am Dienstag in Vilnius eine ironisch-dialektische Reaktion gegenüber den Zentristen: „Die Diskussion des Appells von M.S. Gorbatschow, an die Kommunisten Litauens , hat uns gezeigt, daß ein neues Modell der Beziehungen der kommunistischen Parteien im Lande nicht nur geschaffen werden kann, sondern auch geschaffen werden muß.“

Im Gegensatz zu den Vertretern einer monolithischen Partei, von denen es unter den litauischen Kommunisten nach wie vor nicht wenige gibt, wünscht sich die Mehrheitsfraktion partnerschaftliche Beziehungen nicht nur zu Moskau, sondern auch zu anderen Parteien in Litauen - während eine kleine radikale Minderheit überhaupt mit allem bisher Dagewesenen brechen und der Partei - nach ungarischem Vorbild - einen neuen Namen geben will.

Für den Wettbewerb mehrerer Parteien bei den Wahlen im Frühjahr sind die Weichen vom litauischen Obersten Sowjet schon gestellt, die gesetzliche Voraussetzung für ein Mehrparteiensystem geschaffen.

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