: Studieren im Westen - Wohnen im Osten?
■ TU-Präsident Fricke möchte West-Studenten in leerstehenden Stasi-Gebäuden unterbringen / Rektoren der Ostberliner Unis haben nichts dagegen
Die unglaubliche Wohnungsnot in West-Berlin, unter der vor allem StudentInnen zu leiden haben, wird möglicherweise bald mit Ostberliner Hilfe gelöst. Der Präsident der Technischen Universität, Fricke, hat bei einem Treffen mit den Rektoren der drei Ostberliner Unis den Wunsch geäußert, Gebäude für seine Schützlinge zu nutzen, die durch den „Auszug bisheriger staatlicher Stellen“ frei werden. Gemeint sind offenbar die weitläufigen Stasi-Räumlichkeiten in der Normannenstraße und anderswo, die auch nach Ostberliner Volkswillen einem nützlichen Zweck zugeführt werden sollen.
Wann und ob dies klappen könnte, steht in den Sternen. Auch politisch ist das Vorhaben umstritten. Der Rektor der Ostberliner Humboldt-Universität, Professor Hass, sondiere, ob dies möglich sei, der Ostberliner Magistrat müsse zustimmen, hieß es bei der TU. Wohnraum wird im Osten von den Kommunen verteilt.
„Wir nehmen alles“, hieß es dazu beim Studentenwerk. Man habe etwa 7.000 Wohnheimplätze in West-Berlin, aber allein 13.000 Studienanfänger, viele seien unzureichend untergebracht. Die Wartezeit betrage je nach Wohnheim zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, Tendenz steigend. Man versuche seit dem Sommer dieses Jahres, deshalb Kontakte nach drüben zu knüpfen, meinte Studentenwerksvertreter Kittel, aber das sei seit dem 9.November schwierig geworden: „Von denen weiß keiner, ob er morgen noch da ist.“ Zur Konkurrenz für die Ostberliner Wohnungssuchenden müsse das nicht werden, meint Kittel weiter: „In Ost-Berlin gibt es genug Grundstücke. Wenn die mit westlicher Hilfe bebaut und von Ost-Berlin vermietet werden, ist das für beide Seiten interessant.“ Man „begrüßt“ Frickes Idee auch beim Westberliner - Bausenator. Schließlich gebe es im Ostteil der Stadt das unausgeschöpfte Potential von 30.000 leerstehenden Wohnungen.
Etwas skeptischer beurteilen das die Westberliner Mieterorganisationen. Prinzipiell könne nicht der Osten die Wohnungsprobleme des Westens lösen, meint Hans Hassler von der Mietergemeinschaft. „Wenn aber durch westliche Gelder Leerstand beseitigt wird, wäre das in Einzelfällen nicht schlecht, solange den DDR-Bewohnern keine Wohnraumressourcen weggenommen würden.“
„Zwiespältig“ beurteilt Hartmann Vetter vom Mieterverein die Idee. Zwar verließen viele Studenten West-Berlin, weil sie dort keine Wohnung gefunden haben. „Aber wenn die nach Osten ausweichen, erzeugt das große wirtschaftliche Probleme. Wenn die ihr Bafög 1:3 tauschen, leben die da besser als jeder Facharbeiter.“ Das schüre Emotionen gegen die kaufkraftstarken Westler. „Ausverkaufs- und Unterlegenheitsgefühle“ bei Ostberliner Studenten kann sich auch AL-Baupolitiker Volker Härtig vorstellen. „Die haben es auch schwer mit der Wohnungsversorgung.“
esch
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