Politisch verpfuschtes Leben

Zum Rücktritt des DDR-Schriftstellerverbandsvorsitzenden Hermann Kant  ■ G A S T K O M M E N T A R

Ich lese von physischem Druck, der auf Hermann Kant, so er selber, ausgeübt worden sei - er muß wohl nicht recht wissen, was das ist. Letzte Woche betraten meine Frau und ich den Leipziger Stasi-Knast, in dem wir gesessen haben, als Hermann Kant seine Laufbahn als munterer Korrespondent des 'Neuen Deutschland‘ begann; das hat meine Erinnerung an physischen Druck aufgefrischt.

Daß er unter psychischem Druck steht, will ich gern glauben. Das standen die Schriftsteller, die 1979 gegen die Strafverfolgung Stefan Heyms protestierten, der seinen Collin-Roman entgegen den Zensurgesetzen der DDR in der Bundesrepublik hatte veröffentlichen lassen, auch. Das war die Stunde, da Hans Noll uns „kaputte Typen“ nannte. Das war die Stunde, in der Kant die Verdammungsrede hielt, er, der immer hinzugezogen wurde, so Heym später in seinem Nachruf, wenn „der Dolch im Gewande erforderlich“.

Kant hat einen großartigen Roman geschrieben, Der Aufenthalt. In den letzten Jahren versuchte er die Quadratur des Kreises, ein staatstreuer Diener und gleichzeitig ein wahrhaftiger Schriftsteller zu sein. Ihm gelangen gerade noch kleinbürgerliche Humoresken, die er, ein glänzender Rezitator, auch gern im westlichen Deutschland vortrug, das er offiziell Bestseller-Country schimpfte.

Der Aufenthalt“, in dem er seine Erfahrungen in polnischer Gefangenschaft beschrieb, war in Wahrheit sein erstes Buch, obwohl es als viertes oder fünftes erschien; an ihm hat er hart gearbeitet. Der Ulbricht-Honecker-Staat dankte ihm mit allen Orden und Ehren, die verfügbar waren, auch Professor ist er geworden. Er genoß die Privilegien eines mächtigen Mannes. Nun ist er vielleicht nur noch eines, Schriftsteller. Es wird still um ihn werden, und in dieser Stille wird er dem Volk aufs Maul schauen können. Er könnte sich auf die Zeit besinnen, in der er seinen „Aufenthalt“ schrieb. Und er hat einen großartigen Romanstoff: sein eigenes politisch verpfuschtes Leben.

Erich Loest