: Knapp am Koalitionsbruch vorbei
Nach Marathonsitzung des rot-grünen Senats stellte die SPD die Koalitionsfrage / Niederlage für Al-Senatorinnen in der Energiepolitik / Momper wird Kohl bitten, das Projekt „Deutsches Historisches Museum“ in der ursprünglich geplanten Form zu überdenken ■ Aus Berlin Andrea Böhm
Der Bruch ist abgewendet, die Krise bleibt. Nach einer fast siebenstündigen Senatssondersitzung gestern bis in die frühen Morgenstunden steht zumindest fest, daß die rot-grüne Koalition das Jahr 1989 überstehen wird. Spätestens im Februar will die Alternative Liste auf einer Vollversammlung jedoch Bilanz ziehen und das Bündnis mit der SPD zur Debatte stellen.
Während man sich gestern im Konflikt um das Deutsche Historische Museum (DHM) zumindest vorläufig gütlich einigte, wurden die drei von der AL gestellten Senatorinnen in der Frage der umstrittenen Stromtrasse, einer geplanten Hochspannungsleitung zur Versorgung Berlins mit billigem Strom aus dem Bundesgebiet, gegen Mitternacht vor die Alternative gestellt: die Koalition platzen zu lassen oder dem Stromtrassen-Konzept des SPD-Wirtschaftssenators Peter Mitzscherling zuzustimmen.
Während Mitzscherling auf der ursprünglichen Leitungskapazität von 380 Kilovolt bestand, hatte die AL -Umweltsenatorin Michaele Schreyer als Kompromiß vorgeschlagen, lediglich zwei 110-Kilovolt Leitungen verlegen zu lassen. Was sich auf den ersten Blick wie ein Konflikt um technische Details ausnahm, hatte schließlich zur Existenzfrage der Koalition geführt.
Aus dem bereits vom ehemaligen CDU/FDP-Senat abgeschlossenen Vertrag über den Anschluß West-Berlins an den innerdeutschen Stromverbund, war nach Auffassung der SPD kein Ausstieg mehr möglich. Dessen ungeachtet hatte die Vollversammlung der AL ihre Umweltsenatorin faktisch beauftragt, das Projekt ganz zu verhindern. Mit dem festen Vorsatz, dem Mitzerschling-Konzept nicht zuzustimmen, waren die drei AL-Politikerinnen in die Sitzung gegangen, nach fast sieben Stunden Verhandlung waren sie gezwungen, die Vorlage des Wirtschaftssenators „zustimmend zur Kenntnis zu nehmen“, wie es offiziell heißt.
Zwar wurden parallel dazu Maßnahmen zur Energieeinsparung beschlossen, doch mußte die AL hier die nächste Schlappe einstecken: nicht die konkreten Vorschläge der Umweltsenatorin wurden akzepiert, sondern die unverbindlichere Version des Wirtschaftssenators.
Vor der Presse begründeten die drei Politikerinnen ihr Verhalten damit, man habe an diesem Punkt nicht „den Bruch der Koalition machen wollen“. Rückendeckung erhielten die Senatorinnen auch vom AL-Parteivorstand und der Fraktion. Die Koalition dürfe nicht allein an der Stromtrasse bemessen werden, und „die Senatorinnen hatten kein Mandat, die Koalition krachen zu lassen“, erklärte Peter Lohauß vom Geschäftsführenden Ausschuß.
In der Frage des Deutschen Historischen Museums, dem „Geschenk“ des Bundeskanzlers an Berlin, hatte sich dagegen schon vor Sitzungsbeginn ein für beide Seiten tragfähiger Kompromiß abgezeichnet. Rückendeckung hatten die Gegner Kohlscher Museumspläne aus der DDR erhalten. In einem Brief hatten sich unter anderem der DDR-Schriftsteller Stefan Hermlin und der Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR, Manfred Werkwerth, an Kohl mit der Bitte gewandt, das Projekt noch einmal zu überdenken und die Planungen eventuell in Ost und West durchzuführen.
In der Senatssitzung einigte man sich darauf, daß nun auch Momper bei Kohl in Sachen DHM vorstellig wird, da eine Planung nur von westlicher Seite angesichts der Entwicklungen in der DDR nicht mehr möglich sei, erklärte SPD-Kultursenatorin Anke Martiny.
Von seiten der AL, aber auch der SPD-Fraktion wurde immer wieder beteuert, wie wichtig eine rot-grüne Koalition gerade nach der Öffnung der Grenzen sei. Spätestens seit der Marathonsitzung am Mittwoch abend ist jedoch klar, daß auf Senatsebene die Stimmung auf dem Nullpunkt, die Grenze der psychischen und auch physischen Belastbarkeit erreicht ist. Das Klima war bereits in den letzten Tagen immer eisiger geworden, nachdem Momper der AL in einem taz-Interview Regierungsunfähigkeit vorgeworfen und gedroht hatte, die Koalition platzen zu lassen, wenn keine Einigung in Sachen Stromtrasse und DHM erzielt werde. Die AL konterte, sie sei nicht die Jugendorganisation der SPD. Der Zuspitzung des Konflikts waren empfindliche Niederlagen der AL in Sachen Ausländerpolitik vorausgegangen. Gerade in diesem Politikbereich hatte sich die AL besonders viele Hoffnungen gamacht. Währenddessen hat sich innerhalb der SPD zumindest auf Senatsebene - zunehmend Frustration über die schwerfälligen Entscheidungsstrukturen beim alternativen Koalitionspartner breitgemacht.
Die Fraktionsvorsitzende der AL, Heidi Bischoff-Pflanz, konstatierte im Moment „mehr Willen zur rot-grünen Koalition bei der SPD-Fraktion als beim Senat“. Ob die Weihnachtspause ein paar Wunden heilt, bezweifelt man allerdings in AL -Kreisen. Und an die „vielen rot-grünen Perspektiven“, die AL-Senatorin Michaele Schreyer gestern noch vor der Presse erkennen konnte, mochte keiner der Anwesenden so recht glauben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen