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Die letzte Wende des Hermann Kant

■ Der Chef des DDR-Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, trat gestern zurück / Das Präsidium bedauert die Entscheidung „außerordentlich“ / Noch vor kurzem war Kant in geheimer Abstimmung bestätigt worden.

Berlin (dpa/taz) - Der unumstritten überfällige Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, ist gestern zurückgetreten. Während in jüngster Zeit der Rücktritt von Kant, der die restriktive Literaturpolitik nach der Biermann -Ausbürgerung mitgetragen hatte, immer wieder gefordert worden war, reagierte das Präsidium des Schriftstellerverbandes mit „außerordentlichem Bedauern“ auf Kants Entscheidung. Trotz des nahezu einhelligen, in geheimer Abstimmung erklärten Vertrauens durch den Vorstand am 7. Dezember sei für Hermann Kant der psychische und physische Druck nicht mehr zu ertragen, hieß es in einem offenen Brief des Präsidiums.

Kant, der 1979 den Ausschluß von neun SED-kritischen Autoren, darunter Stefan Heym, Rolf Schneider und Klaus Schlesinger aus dem DDR-Schriftstellerverband, unterstützt hatte, war in jüngster Zeit von Autoren in Ost und West als „Wendehals“ kritisiert worden. Kant hatte den Verband als Nachfolger von Anna Seghers seit 1978 geleitet.

„Hermann Kant gehört zu den Persönlichkeiten, die sich um den Verband verdient gemacht und die Erneuerung in unserem Land seit langem öffentlich unterstützt und gefördert haben. Dennoch haben wir tiefes humanes Verständnis für seine Entscheidung“, heißt es in dem Schreiben des Präsidiums. Kant hatte Anfang Dezember seinen Rücktritt angeboten „aus Gründen, die nicht etwa auf ein Schuldbekenntnis hinausliefen, dazu habe ich keinen Anlaß“. Er habe die Arbeit als Vorsitzender nicht mehr machen wollen, „um dem Verband den Rücken freizumachen“, erläuterte er damals. In einer langwierigen Debatte hatte ihm der Vorstand schließlich mit 60:2 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen.

„Die Angriffe gegen ihn, vorgetragen von einer Gruppe Berliner Mitglieder und Kandidaten und unterstützt von einem Teil der Medien, entbehren unseres Erachtens jeder demokratischen Legitimation, weil sie sich gegen die Interessen der großen Mehrheit der Mitglieder richten“, konstatierte das Präsidium. „Sie gefährden objektiv den Bestand des Verbandes.“ Dies sei um so fragwürdiger in einer Zeit, wo alle beruflichen und sozialen Sicherungen, die der Verband in Jahrzehnten erkämpft habe, gefährdet seien. In angenehmem Kontrast zur offiziellen Verbandspolitik haben sich Ostberliner Autoren mit „Vorschlägen für einen erneuerten Schriftstellerverband an die Öffentlichkeit gewandt. Bei ihrer Zusammenkunft am Mittwoch abend, an der 60 der rund 500 Mitglieder des Bezirksverbandes Berlin des DDR-Schriftstellerverbandes teilnahmen, war ein Neun-Punkte -Programm verabschiedet worden, in dem die Schriftsteller unter anderem fordern, der Verband solle künftig unabhängig und allein vom mehrheitlichen Willen seiner Mitglieder getragen sein. Der außerordentliche Kongreß im März müsse den Verband „programmatisch, strukturell und personell erneuern“. Unterzeichnet haben das Papier unter anderem Christa Wolf und Christoph Hein.

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