: Die Wüste, die aus der Kälte kam
■ Mathias Gehrt inszenierte Sam Shepards „Goldener Westen“ am Schauspielhaus / Kaputte Gegen-Brüder
Das Publikum, sofern in der Pause nicht gegangen, blieb eisig. Das ist ein bißchen ungerecht und hängt sicher mehr mit dem schlechten Start des neuen Ensembles zusammen als damit, daß dieser „Goldene Westen“, der am Donnerstag im Schauspielhaus Premiere hatte, so schlecht gewesen wäre. Aber aasig eisig war er schon.
Die Kälte kommt aus dem gro
ßen Kühlschrank in der Mitte der Bühne. Aber nicht nur. Wir sind im „True West“, in Kalifornien, da gibt's ein aasig akulturelles Bühnenbild die ganze Zeit, kaum was auf der Bühne außer viel Raum vor der pink-lila Wand, Moms scheußlichen Topfpflanzen an der Wand links, Plastikstühlchen. Es ist heiß, die Zikaden sirren, später jiffeln Hunde und Kojoten, die Wüste ist nah, der Kühlschrank entsprechend groß und biergefüllt. Lee (Helmut Rühl) läßt non-stop Bierdosen zischen, weil er aus der Wüste kommt, ein Desperado ist und seinen College-gebildeten, erfolgreichen Bruder Austin (Thomas Meinhardt) beim Schreiben des großen Drehbuches und überhaupt stören muß.
Lee, nacktarmig-brutal, Aggression im Unterkiefer, übles Lächeln zwischen den blaß-gezerrten Lippen, zischt Biere, tritt in den Fridge, droht, verachtet Austin, erpreßt seinen Wagenschlüssel, macht Brüche in der Nachbarschaft. Austin, bebrillt, heuchellächelt schiefmäulig seine Angst und seinen Haß auf den Wüstenbruder weg, vermutet, daß der das wahre, wilde Leben führt. Duldet, daß der ihm buchstäblich den Stuhl unter dem Hintern wegreißt, solange bis Lee ihm den Agenten (Ilja Richter) ausspannt. Der, ängstlicher, „O.K., O.K.?“, albernder Ilja mit dem Aktenköfferchen, verschafft uns die ersten Lachentspannungen, erliegt dann Lees Brutalo -Charme, O.K., will Aus
tins Drehbuch nicht mehr, nur noch Lees wirre Story und die soll der arme Austin aufschreiben.
Gott ist tot, an seine Stelle tritt der Gott des Erfolgs in seiner Gestalt als Agent, Kain ist Lee, den der Gott des Erfolgs plötzlich erhört, Abel erschlägt Lee nicht gleich, wechselt nur in dessen Wüsten-Ich hinüber, zischt Bier, klaut ein Bataillon Toaster, will mit Lee in die Wüste zurückgehen, nachdem er ihm, nun doch, das Skript geschrieben hat.
Doch da kehrt Mom (Monika John), die kaugummikauende Karikatur einer kakelfarbigen amerikanischen Mummy, Erfolgsgotts matriarchale Stellvertreterin auf US-Erden, aus Alaska zurück. Mom, deren Appartement die Brüder gemeinsam verwüsten und deren Zimmerpflanzendschungel Lee systematisch geköpft hat. Mom zieht prompt wieder Austin auf ihren Schoß und zerbricht damit die fragile Solidargemeinschaft. Draußen heulen die Koyoten schon seit längerem, drinnen treten die Bruderwölfe zum Endkampf an. Licht und Stück aus.
Die Spieler spielen spannend. Thomas Meinhardt ist ein nur hauchdünn Erwachsen-Erfolgreicher, und als der heimlich beneidete wilde Bruder ihm den Erfolg nimmt, ist er der trotzige, verzweifelte, selbstzerstörerische Junge mit seinem Haß. Meinhardt hat was vom anrührend Kaputten des Strandgut-Trios, das wir gleichzeitig im Kino in Jim Jarmuschs Mystery
Train durch Memphis saufen und ballern sehen. Erfolglose, Verlassene, aber Brüder. Meinhardts Austin in der Wagenburg seiner erbeuteten Toaster, aus denen nacheinander die gebräunten Doppelscheiben springen, die der widerstrebenden Lee zum Frühstück kriegen soll: Das ist ein kurzer Moment, wo die Wüste lebt, wo verzweifelt komisch ist, wie sich dieses trostlose Mann-Kind von den Wundern der Zivilisation trösten läßt.
Aber in diesem Amerika der großen Unglückskinder läßt ihn leider der Bruder Rühl ziemlich alleine spielen. Der ist nämlich lieber ein zorniger nacktarmiger James Dean made in Germany: ein gestählter Kämpfer gegen Gods own country, kein gescheiterter lonely wolf. Austin und Lee sind eine Variation des Brüder
paars aus Wim Wenders Paris, Texas, für das ebenfalls Sam Shephard das Drehbruch geschrieben hat. (Übrigens hätte sich der Dramaturg ruhig die Mühe machen dürfen, außer einem Baudrillardtext auch noch ein paar Zeilen in den Programmzettel drucken, die Auskunft über Shepard geben.) Aber Rühl macht aus Lee keinen traurig-tragischen Wüstengänger wie Harry Dean Stanton. Da waltet keine traurige Liebe zu dieser Figur, sondern teutonische Wut. Da wird aus Shephards Männerverständnis für die Gescheiterten die Attacke auf die tödliche US-Erfolgsgesellschaft. Von Moms heißer, ver-Wüste-ter Küche kommt nicht das Heulen der Koyoten und das Sirren der Zikaden über die Rampe, nur die Kälte des Kühlschranks und erreicht die Zuschauer. Uta Stolle
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