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Kollaps wird nicht geboten

■ Zwei Konzerte der „Einstürzenden Neubauten“ im Kulturhaus VEB Elektrokohle Ost-Berlin

„Negativ Nein, Negativ Nein, Negativ Nein“, skandiert Blixa Bargeld durchs Mikrophon in die Echoschleife, die es doppelt und dreifach zurückwirft. Das hektische Echo bestimmt das Tempo, die Gruppe spielt im Takt, ein wilder Tanz: „Hauptsache neinneinneinneinnein!“ Das Publikum zeigt keine Regung. Es weiß nicht, daß die „Einstürzenden Neubauten“ gerade eines ihrer besten Konzerte geben.

30 Ostmark und 5 Pfennige hat die Eintrittskarte gekostet, für DDR-Verhältnisse eine horrende Summe. Das erste Konzert sei ausverkauft, hatte es geheißen. Darum war kurzfristig für 23 Uhr ein zweites angesetzt worden. Es sind die beiden ersten Konzerte, die die „Neubauten“ je in der DDR gegeben haben.

Beide Male verliert sich das Publikum in lichten Reihen in der Tiefe des Saals. DDR-Veranstalter haben offensichtlich andere Vorstellungen von ausverkauften Sälen als westliche. Die Auflagen mögen strenger sein. Es darf nicht geraucht werden - niemand hält sich allerdings an das Verbot -, Getränke werden nicht ausgeschenkt. Feuchtigkeit, Stickigkeit, Enge: Die Nähe zur Panik, die Rockmusik braucht, um ihre Suggestionskraft zu entfalten, fehlt. Es ist angenehm, aber das Spektakel hat etwas seltsam Abgelöstes, Vorgeführtes. Das Publikum ist diszipliniert, interessiert, auch wohl ein bißchen befremdet. Vielleicht ist das so, wenn man plötzlich einfach haben kann, wonach man sich zehn Jahre lang gesehnt hat, ohne es wirklich zu kennen. An der Bühne drängen sich hundert eingeschworene Fans und fordern Kollaps, ein Stück von der ersten Platte der „Neubauten“ von 1981. Kollaps wird nicht geboten.

Die „Neubauten“ hatten sich lange angestrengt, in der DDR zu spielen - vergeblich. Der Kulturminister warf der Gruppe vor, daß „nachweislich rechtsextreme Elemente in ihrem Publikum vertreten“ seien. Bei einem Konzert, das die „Neubauten“ vor Jahren in Prag gaben, waren Hunderte von Fans aus der DDR angereist - die, die nicht vorher von der Volkspolizei aus den Zügen geholt worden waren. „Ich möchte sehr gerne in der DDR spielen“, sagte Blixa Bargeld in einem taz-Interview vom 4. September. Die Gruppe war offiziell zum Leipziger Jazzfestival am 30. September eingeladen. „Wir besitzen einen Riesen-Legendenstatus in der DDR. Wir müssen uns in keiner Weise anstrengen, denke ich, irgend etwas da zu verursachen. Das wird von ganz alleine funktionieren.“ Der letzte Satz war in dem Interview nicht veröffentlicht worden, um die Einladung nicht im letzten Moment zu gefährden. Sie ist trotzdem abgesagt worden. Inzwischen sind die Neubauten eingestürzt, die „Neubauten“ mußten sich nicht eigens bemühen, so wie damals, kurz nach der Gründung der Gruppe, die Westberliner Kongreßhalle eingestürzt war, von ganz alleine.

Der Saal des Kulturhauses VEB Elektrokohle ist hoch, eckig, nüchtern. Er sieht aus wie eine Aula für Betriebsfeiern, im Stil und mit dem Charme der frühen Siebziger. Die Akustik ist etwas hallig, aber klar, die Bühne so weit erhöht, daß jeder einen guten Blick hat. Die „Neubauten“ spielen sehr laut, aber nicht exzessiv. Ohnehin war es bei ihnen immer die Stille vor dem Schrei, die den Schrei so laut scheinen ließ - es ist eine Frage der Berechnung, der musikalischen Statik. Das Publikum hat keine Ahnung, welcher Luxus ihm hier gewährt wird. Keine Routine wie im Quartier Latin vor zwei Monaten, kein Brei. Die Musik ist transparent, böse, perfekt und treibend - chaotisch ist längst nicht mehr. Es wäre auch illusorisch zu denken, daß die Musik einer Gruppe, die seit fast zehn Jahre zusammenarbeitet, sich nicht organisiert. Was anfangs Gestus war - Zerstörung -, reflektiert sie längst als musikalische Struktur: euphorische Steigerungen, Abbrüche, ängstliches Pulsieren, kreischendes Zerreißen, klägliches Verpuffen, gewaltsames Neuanfangen.

Eigentlich sind die „Neubauten“ - der gewichtigste deutsche Beitrag zur populären Musik der 80er Jahre - sehr nahe dran an dem, was passiert ist. Aber das Publikum scheint es nicht recht würdigen zu wollen und läßt das Spektakel an sich vorüberziehen, als wäre es selbstverständlich. Die 80er Jahre sind zu Ende und so todmüde wie die synthetische Streichermelodie in Armenia. „Heute haben Stalin und Thomas Müntzer Geburtstag“, sagt Heiner Müller in seiner kurzen Ansprache vor dem zweiten Konzert und wird jäh unterbrochen vom Krach des Prologs.

Thierry Chervel

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