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Mitten im Krieg und zwischen den Fronten

■ Der Zustand der Presse in Sri Lanka nach Jahren des Bürgerkrieges

Gabriella Gamini/Vivek Chaudhary

In den frühen Morgenstunden des 10.Mai drangen vier bewaffnete Männer in die Wohnung des 44jährigen Chefredakteurs von Jaffnas größter Tageszeitung Murasoli. Sinnadurai Thiruchelvam flüchtete durchs Zimmerfenster und versteckte sich im Haus eines Nachbarn.

Wenige Minuten später fand man seinen 17jährigen Sohn Ahilan einen knappen Kilometer entfernt. Sein Körper war von Einschüssen durchlöchert.

Der Angriff auf Thiruchelvam und der Mord an seinem Sohn wurde durchgeführt von der Gruppe „Revolutionäre Volksbefreiungsfront Eelam“ (EPRLF)1, und zwar aus Rache für Murasolis Berichterstattung über Friedensgespräche zwischen der Regierung Sri Lankas und der militanten Separatistenorganisation Tamil Tigers. Seit 1987 ist der Kampf der Tamilen für einen unabhängigen Staat begleitet von blutiger Gewaltsamkeit der konkurrierenden, von Indien unterstützten Tamilengruppen und den Tamil Tigers.

„Wir waren mitten in einem blutigen Krieg, als endlich einmal Aussicht auf Frieden bestand. Ich entschied mich dafür, über die Gespräche zu berichten, obwohl mir klar war, daß weder die indische Friedenstruppe noch die anderen Tamilengruppen darüber besonders glücklich sein würden. Aber hier bahnte sich ein wichtiger Durchbruch an, und wir konnten das nicht einfach ignorieren“, erklärte Thiruchelvam. Die Leiche von Ahilan Thiruchelvam wurde nur wenige Meter entfernt von einem der vielen Kontrollpunkte der indischen Friedenstruppe in Jaffna gefunden. Die Soldaten behaupteten jedoch, sie hätten nichts Verdächtiges bemerkt. Und obwohl Sinnudurai Thiruchelvam gegenüber der indischen Armee in Jaffna und dem Präsidenten seines Landes, Ranasinghe Premadasa, eine eidesstattliche Erklärung über die Gruppe hinter dem Anschlag und die Mörder seines Sohnes (mit Namen) abgab, ist bis heute keiner der Genannten verhaftet worden. Thiruchelvam behauptet außerdem, daß ihn während der Berichterstattung über die Friedensgespräche ein indischer Offizier angerufen und gesagt habe: „Sie wollen uns also loswerden, damit die Armee von Sri Lanka wiederkommen und die Tamilen schlachten kann.“ Murasoli (der Name bedeutet „Trommler“ auf Tamilisch) war die einzige Zeitung Jaffnas, die über die Gespräche berichtet hatte. Mit einer Auflage von 28.000 ist sie die meistgekaufte tamilische Tageszeitung und wurde nur im Norden der Insel, dem Hauptsiedlungsgebiet der tamilischen Landesbevölkerung, vertrieben.

Thiruchelvam gründete zusammen mit einigen anderen Journalisten Murasoli im Oktober 1986. Von Anfang an hatte sie sich als die einzige wirklich unabhängige tamilische Zeitung begriffen; drei weitere Zeitungen werden in Jaffna noch produziert, von denen nach Auskunft von Thiruchelvam Eelamurasu das Organ der Tamil Tigers ist und Uthayan sowie Eelanadu eher Almanache darstellen, die nur selten, wenn überhaupt, Nachrichten drucken. „Meinungsäußerungen waren uns schon völlig fremd geworden. Wir wollten einfach nur noch Informationen verbreiten, unabhängig von Gruppeneinflüssen jeglicher Färbung“ - so Thiruchelvam.

Die Ankunft der indischen Friedenstruppen im Juli 1987 im Rahmen des indisch-srilankischen Abkommens signalisierte den Beginn der Pressezensur in Jaffna; von nun an versuchten die sich bekämpfenden Fraktionen Kontrolle über die Zeitungen zu gewinnen. Murasoli hatte das Friedensabkommen sofort kritisiert und behauptet, es sei „ohne Konsultation des tamilischen Volkes ausgehandelt“ worden. Thiruchelvam hatte auf einer öffentlichen Versammlung an der Universität von Jaffna gegen das Abkommen polemisiert und den indischen Geheimdienst Research Analysis Wing (RAW; Abteilung Forschung und Analyse) beschuldigt, nationale Unruhe in Jaffna zu schüren. „Später erfuhr ich, daß meine Reden alle übersetzt und der indischen Armee zugespielt worden waren.“

Im Oktober 1987 begann die indische Armee ihre Militäraktion zur Vernichtung der Tamil Tigers mit der Bombardierung der Büros von Murasoli und Eelamurasu. „Das war ein geschickter Schachzug. Meine Zeitung war gegen das Abkommen, und Eelamurasu gehörte den Tigern. Indem sie beide Zeitungen gleichzeitig zerstörten, trafen sie die Vorkehrungen dafür, daß nach Beginn der eigentlichen Offensive keiner mehr da war, der über sie berichten könnte“, sagt Thiruchelvam.

In den folgenden vier Wochen wurde Jaffna zu einem einzigen Schlachtfeld. Während die Kämpfe in den Straßen tobten, wurden Zivilisten evakuiert und lebten in Tempeln und Schulen; die zwei überlebenden Zeitungen der Stadt, Eelanadu und Udhayan, wurden verboten.

Am 11.November 1987 wurde Thiruchelvam von der indischen Armee unter dem Verdacht festgenommen, den Aufenthalt von Villupillai Prabhakaran, dem Anführer der Tamil Tigers zu kennen. Man hielt ihn fünf Tage im Gefängnis von Jaffna fest, während derer er 15 Stunden täglich verhört wurde und ständig eine Augenbinde tragen mußte. Thiruchelvam meint, er habe als Journalist natürlich zu allen militanten Gruppen Beziehungen unterhalten. „Aber über die Tiger wußte ich nichts, auch nicht, wo sie sich versteckt halten.“

Zwei Wochen nach seiner Entlassung, am 27.November, wurde Thiruchelvam zum indischen Armeekommando in Jaffna beordert; dort teilte man ihm mit, daß soeben eine Konferenz aller Zeitungsredakteure stattfände, auf der das Wiedererscheinen der Zeitungen diskutiert werden solle. Als Thiruchelvam sich zu selbiger „Konferenz“ bei einem anderen Militärstützpunkt meldete, wurde er in eine Zelle gesteckt und neun Tage festgehalten, bevor man ihm mitteilte, weshalb er in Haft sei. „Die indische Armee beschuldigte mich, die Tiger zu unterstützen und ihre Verstecke zu kennen. Man verhörte mich wieder täglich. „Insgesamt verbrachte der Zeitungsmann 31 Tage in Einzelhaft, ohne daß offiziell Anklage gegen ihn erhoben wurde. Ende Dezember 1987 legte man ihm ein Schreiben vor, das drei Bedingungen für seine Freilassung enthielt. Falls er nicht unterschriebe, so wurde ihm gesagt, würde er auf absehbare Zeit nicht entlassen. Die drei Bedingungen lauteten: 1. Sich jeden Morgen bei einem Stützpunkt der indischen Friedensstreitkräfte zu melden und mit seiner Unterschrift diesen täglichen Apell zu bestätigen; 2. sich an keinerlei Aktivitäten gegen die indische Regierung, die in Sri Lanka stationierten indischen Streitkräfte oder das Friedensabkommen zu beteiligen sowie nichts gegen die Obengenannten zu schreiben; 3. Jaffna nicht ohne vorherige Erlaubnis der indischen Armee zu verlassen. „Man zwang mich zu unterschreiben. Ich hatte keine andere Wahl, wenn ich rauswollte. Und das wollte ich ganz entschieden“, sagte der Journalist.

Durch die Verschärfung des Krieges zwischen den Tamil Tigers und der indischen Friedenstruppe wurde die Presse mehr und mehr zur Zielscheibe beider Fraktionen. Pressezensur in Jaffna bedeutete nicht einfach nur das Verbot von Zeitungen, sondern die physische Zerstörung zunächst der Büros und Druckereien und schließlich der Journalisten selbst. Beide beteiligten Fraktionen machten sich dessen schuldig. Im Februar 1988 beispielsweise zerstörten die Tamil Tigers das Büro von Eelanadu durch einen Bombenanschlag; sie behaupteten, in der Zeitung hätten Kommentare gestanden, die sich gegen ihre Politik richteten.

Die Rivalität zwischen den sich bekämpfenden tamilischen Gruppierungen und die Präsenz der indischen Streitkräfte hatte äußerst nachhaltige Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Jaffna; die Presse ist zum Ziel direkter Angriffe geworden. Objektivität und freie Meinungsäußerung gehören nicht zur Sorge der Kämpfer. Durch die Herrschaft der Gewehre, wie sie im Nordosten von Sri Lanka existiert, ist jegliche öffentliche Diskussion abgestorben und der Freiheit der Presse längst schon das Grab bereitet.

In diese Atmosphäre der politischen Einschüchterung hinein gründete sich Murasoli im Juli 1988 von neuem - sechs Monate nach ihrer Zerstörung durch die indische Friedenstruppe. Das gleiche journalistische Team, von dem zwischendurch nicht einer Arbeit gefunden hatte, nahm die Publikation von Murasoli wieder auf, diesmal unter sehr weitgehenden Beschränkungen, die die indische Armee ihnen auferlegte. „Man sagte uns deutlich, was wir durften und was nicht. Wir durften zum Beispiel keinerlei Erklärungen der Tamil Tigers abdrucken und mußten jeden Abend dem Militär vorlegen, was am nächsten Tag in die Zeitung sollte“, erklärte Thiruchelvam.

Der Zeitung wurde nicht erlaubt, über Morde zu berichten, die von indischen Friedenstruppen oder indisch unterstützten Tamilengruppen ausgingen. Während alle möglichen Feuergefechte den Tamil Tigers zur Last gelegt werden durften, hieß es bei Attacken der Inder und ihrer Alliierten immer, „unbekannte Personen“ hätten dieses oder jenes veranstaltet. Falls Murasoli es wagen sollte, die Regeln nicht zu beachten, drohte Thiruchelvam wiederum mit Gefängnishaft.

Selbst Telefongespräche von Murasoli-Journalisten wurden - und werden bis heute - von der indischen Armee abgehört. In Jaffna gibt es lediglich 300 Telefonanschlüsse, und die Zentrale ist mit Angestellten der indischen Armee besetzt. „Wenn ich mit einem Krankenhaus sprach und Namen von Verletzten oder Toten haben wollte, konnte es passieren, daß die Zentrale das Gespräch einfach unterbrach. Manchmal brachten sie es sogar fertig, mich zurückzurufen und nachzufragen, worum es im Anruf davor genau gegangen sei“, sagte uns Thiruchelvam.

Die Beschränkungen, unter denen Murasoli agieren mußte, manövrierte die Zeitung in die Feuerzone zwischen den rivalisierenden tamilischen Gruppen. Da ihr jede genauere Information über die Politik der Tamil Tigers verboten war, ist nicht verwunderlich, daß Thiruchelvam nunmehr von ihnen bedroht wurde; die Tiger beschuldigten ihn, gemeinsame Sache mit ihren Rivalen zu machen. „Die Ansichten jeder anderen Gruppe durften wir bringen, - aber nicht die der Tiger. Um dieses Problem zu lösen, versteckten wir Stellungnahmen der Tiger im Inneren der Zeitung unter harmlosen Überschriften, so daß die indischen Offiziere sie leicht übersehen konnten.“

Im Vorfeld der Wahlen zur Landesregierung im November 1988 und zu den Nationalwahlen 1989 verstrickten sich die Zeitungen Jaffnas unausweichlich immer tiefer in die Netze der bitter rivalisierenden Tamilengruppierungen. Wer an den Wahlen teilnahm, verlangte Stellungnahmen und Anzeigen seiner Kandidaten in der Presse veröffentlicht zu finden. Die Tamil Tigers forderten von den Zeitungen, ihren Aufruf zum Wahlboykott zu druk-ken. Dazwischen stand die Presse an beiden Händen gebunden. Thiruchelvam reagierte mit einer Vereinbarung zwischen Murasoli und Udhayan, der einzigen anderen noch existierenden Zeitung. Sie kamen überein, für die Zeit des Wahlkampf ihr Erscheinen einzustellen. „Wir mußten unsere Niederlage eingestehen. Uns blieb angesichts der Drohungen von beiden Seiten schließlich keine Wahl mehr. Die wirkliche Tragödie daran war, daß Sri Lanka einmal eine wirklich große Tradition politischer Debatte und demokratischer Wahlen hatte. Aber durch die Gewalt wurde nun jede Information zu den Wahlen, jede politische Debatte verhindert.“

Dieser Zustand heftigster politischer Gegnerschaft zueinander kostete den jungen Ahilan Thiruchelvam das Leben. Kurz nach dem Mord an ihm erhielt Murasoli einen Anruf von der Revolutionären Volksbefreiungsfront Eelam; man warnte sie, keine Artikel mehr zu den Verhandlungen zwischen Tamil Tigers und der Regierung zu veröffentlichen. Sinnudurai Thiruchelvam ging mit seiner Frau in Colombo in den Untergrund; natürlich standen sie weiterhin auf der Schwarzen Liste der Gruppe. Nacht für Nacht wechselten sie ihren Schlafplatz.

Die zerstörerischen Folgen des Bürgerkriegs im Norden und Osten Sri Lankas haben die Institutionen der Presse und die Arbeit der Journalisten in Jaffna ruiniert. Die Rolle der Zeitungen beschränkte sich zeitweilig auf den Abdruck von Nachrufen, kurzen Artikeln über regionale, „nicht -politische“ Ereignisse und Militärnotizen zu neu eröffneten Kontrollposten. Interviews, politische Meinungsäußerung und Diskussion wurden selten einmal abgedruckt - aus der verständlichen Furcht, man würde damit als Träger einer bestimmten Gruppenpolitik identifiziert. So blieben als einzige Nachrichtenquelle für die Journalisten Jaffnas der Rundfunk und die Zeitungen aus der Hauptstadt Colombo. „Wir können als Journalisten nicht mehr die ganze Wahrheit oder die vollständige Information drucken. Wir befinden uns unter der Kontrolle des Militärs und seiner Henker, die sich durch die Macht der Gewehre behaupten“, sagt Thiruchelvam. Als sich die Verbrechen der indischen Friedenstruppen und ihrer tamilischen Freunde mehrten, gab es in Jaffnas Presse keinen mehr, der die Menschenrechtsverletzungen in der Region angeprangert hätte. Für Sinnadurai Thiruchelvam ist die wirkliche Tragödie jedoch, daß jegliche Unterstützung durch die Presse von Colombo für ihre Kollegen im vom Krieg zerfressenen Jaffna ausbleibt.

Als die letzte Stunde für die Pressefreiheit in Jaffna geschlagen hatte, nahm kaum ein Blatt der nationalen oder internationalen Presse mehr die Verbrechen der indischen Friedenstruppen und die zahllosen Menschenrechtsverletzungen auf. Das gilt ebenso für die Anti-Terrorismus-Kampagne der Regierung Sri Lankas im Süden der Insel gegen die nationalistische singhalesische Volksbefreiungsfronst JVP (Janatha Vikmuthi Peramuna). Hunderte sind nach ihrer Verhaftung als „subversive Elemente“ schon „verschwunden“.

Wenngleich die meisten Morde im Norden und Süden Sri Lankas nicht ohne Berichterstattung bleiben, so wird doch nur sehr selten der Versuch gemacht zu recherchieren, wer die Mörder waren, welcher politischen Gruppierung die Opfer angehörten und was getan wird, um die Mörder zu finden.

Sinnadurai Thiruchelvam ist davon überzeugt, daß der Mord an seinem Sohn als Warnung an andere Zeitungen Jaffnas gedacht war; wer überleben will, hat den Waffen zu gehorchen. Er betont, daß nur Einigkeit der Presse die dauernden Restriktionen überwinden kann. Wenn alle sich darin einig wären, politisch wichtige Ereignisse zu berichten, hätten die Behörden viel zu tun, ständig sämtliche Zeitungsbüros zu schließen. Nur weil Murasoli als einzige Zeitung die Friedensverhandlungen brachte, wurde Thiruchelvam zur Zielscheibe indisch unterstützter Tamilengruppen. „Wir müssen uns zusammenschließen. Wenigstens das sollte der Tod meines Sohnes erreicht haben. Er zahlte den Preis für meinen Journalismus.“

Die EPRLF ist inzwischen mit anderen Gruppen zusammengeschlossen zur TNA, Tamilische Nationalarmee; sie wurde nach dem im September 1989 begonnenen Rückzug der indischen Friedenstruppen gebildet und hat weitgehend deren Stützpunkte und Funktionen übernommen (Anm. UR).

Gabriella Gamini und Vivek Chaudhary arbeiten als freie Journalisten in Colombo.

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