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Rumänien: Eile mit Weile

■ Die Sanierung der Ökonomie des Landes gleicht der Quadratur des Kreises / Das Land hat nicht Waren, sondern das Volkseinkommen exportiert / Wende in der Wirtschaftspolitik hat ihre Schattenseiten

Bukarest (afp) - Die daniederliegende rumänische Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, das kommt nach Meinung von Beobachtern der Quadratur des Kreises gleich. Und doch oder gerade deshalb wird dies allgemein als die vordringlichste Aufgabe nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes angesehen, wichtiger noch als die Vorbereitung der für den kommenden April vorgesehenen freien Wahlen. Ion Blaga, einer der renommiertesten Wirtschaftsprofessoren der Bukarester Universität, schrieb am Samstag in der Zeitung 'Averul‘, dem ehemaligen Organ der Kommunistischen Partei, die neue rumänische Führung müsse so schnell wie möglich entscheidende Maßnahmen ergreifen. Allerdings dürfe sie nichts überstürzen, denn das würde die besorgniserregende Wirtschaftslage nur noch verschlimmern. Eile mit Weile, nach diesem vertrackten Grundsatz wird der am Freitag zum Wirtschaftsminister ernannte junge General Stefan Stanculescu zu handeln haben. Die Tatsache, daß das strategisch wichtige Ministerium einem Militär übertragen wurde, unterstreicht erneut den wichtigen Anteil der Armee am Sieg der Volksrevolution über die Ceausescu-treuen Kräfte.

Die rumänische Wirtschaft ist nicht ausgeblutet. Sie erinnert vielmehr an Zustände, wie sie der französische Schriftsteller Alfred Jarry - ein Vorläufer des in Frankreich lebenden rumänischstämmigen Eugene Ionesco - vor beinahe hundert Jahren in seinem Bühnenstück König Ubu schilderte, das heute als erstes Beispiel des absurden Theaters gilt. So war es den Unternehmen seit 1987 verboten, Bankkredite aufzunehmen. Das Ergebnis dieser Bestimmung war, daß die Unternehmen untereinander in ein Gläubiger- und Schuldnerverhältnis gerieten. Anderenfalls hätten sie überhaupt nicht funktionieren können. Eine Wirtschaft ohne Geldinstitute im Rücken innert an einen menschlichen Organismus ohne Blutkreislauf, der gleichwohl, komme was da wolle, am Leben erhalten wird.

Die im Schlüsseljahr 1982 eingeführten Wirtschaftsreformen haben aus Rumänien einen Staat gemacht, der statt Waren das Volkseinkommen exportiert. Die Formulierung stammt von Ion Prisecau, einem am rumänischen Institut für Metallurgie tätigen Wirtschaftsexperten. Am Beispiel der Metallindustrie wird die Absurdität der rumänischen Wirtschaft unter dem alten Regime deutlich. Obwohl jegliche Vernunft dagegen sprach, sorgte der „Conducator“ dafür, daß zahlreiche Stahlwerke wie Calaras, Tirgovviste oder Galat, um nur einige zu nennen, über das ganze Land verstreut angesiedelt wurden. Wer es wagte, dem „Genie der Karpaten“ zu widersprechen, etwa mit dem Hinweis auf die Kosten, wurde umgehend zum „Volksfeind“ erklärt. Prisecau berichtete darüber am Wochenende aus eigener Anschauung.

Wie aber kriegt man die marode Ökonomie wieder flott? Braga schlägt als erste Maßnahme vor, aus dem enormen Haushaltsüberschuß des Staates flüssiges Kapital für die Unternehmen abzuschöpfen. Der Überschuß ist das Ergebnis des Systems der staatlich festgelegten Preise, das den Unternehmen gewissermaßen das Blut aussaugte. Als zweite Maßnahme sollten die Bauern ein „gerechtes“ Einkommen erhalten, ohne daß dies zu einer Erhöhung der Agrarpreise führen dürfe, weil damit unweigerlich soziale Spannungen verbunden wären. Braga verhehlt nicht, daß die Wende in der Wirtschaftspolitik auch Schattenseiten mit sich bringen wird, so etwa eine möglicherweise schon bald galoppierende Inflation. Um dem gegenzusteuern, plädiert der Professor für das alte liberale Rezept, wonach die Löhne auf jeden Fall nicht schneller, nach Möglichkeit aber langsamer steigen sollten als das Wirtschaftswachstum.

Tatsache ist, daß die rumänische Wirtschaftsproduktion seit 1982 sowohl quantitativ als auch qualitativ rückläufig ist. Vom Rückwärtsgang heißt es nun ohne Umweg über den Leerlauf in den Vorwärtsgang umschalten. Dieser Richtungswechsel wird zwangsläufig eine nationale Debatte über die künftige Wirtschaftsform in Gang setzen. Bei der neuen Führung des Landes herrscht Einigkeit darüber, daß die Rumänen bei den Aprilwahlen über das von ihnen gewünschte Wirtschaftssystem entscheiden werden. Die bis dahin vorgenommenen Reformen, das meint auch Braga, werden darum die alten Wirtschaftsstrukturen nicht antasten. Vieles spricht dafür, daß der als kompetent geltende leutselige Stanculescu, der unter der Regierung Ceausescu einen hohen Posten im Verteidigungsministerium innehatte, im neuen Jahr noch mehrfach Gelegenheit haben wird, seinen Kopf mit den blauen Augen nachdenklich in beide Hände zu nehmen.

Ricardo Uztarroz

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