: Gysi hofft auf „ethische Reinigung“ seiner Partei
■ Die Aufarbeitung der Vergangenheit in der DDR geht weiter
Berlin (dpa) - Die Aufarbeitung der Honecker-Ära hat nun auch die RichterInnen der DDR erwischt. Die Empörung über SED-gesteuerte RichterInnen und politisch motivierte Fehlurteile des alten Systems äußert sich derzeit zunehmend in Bedrohungen gegen einzelne RichterInnen, wie das SED-PDS -Blatt 'Neues Deutschland‘ am Samstag berichtete. Beispielsweise wurde die Richterin eines Kreisgerichts während einer mündlichen Verhandlung durch „Beschimpfungen fortlaufend psychisch terrorisiert“, zitiert das Blatt das Justizministerium. Weil von der Polizei keine Unterstützung zu erwarten sei, habe sich das Richterkollektiv geweigert, Strafverfahren zu verhandeln, von denen eine Gefahr für die Justizvertreter ausgehen könnte. Um welche Verfahren es sich dabei handelt, wurde nicht gesagt.
Die erst jetzt bekanntgewordene Sonderbehandlung von ExfunktionärInnen durch ein „Überbrückungsgeld“ löste auch heftige Kritik aus - insbesondere wegen der Geheimhaltung der Regelung, wie die 'Berliner Zeitung‘ am Samstag berichtete. Beim Wechsel in schlechter bezahlte Posten wird den FunktionärInnen drei Jahre lang die Differenz gezahlt. Grundlage für dieses Schmerzensgeld verletzter Wendehälse ist eine Vereinbarung mit dem Ministerrat schon vom Anfang Dezember.
Auch die JournalistInnen der DDR hätten in der Vergangenheit keine rühmliche Rolle gespielt, verdeutlicht die Selbstanklage eines Vertreters der Zunft. Viel hätten sie jedenfalls nicht zur Wende und Erneuerung beigetragen hätten. Autor Henryk Goldberg schrieb in der FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘, niemand sei zu diesem Beruf gezwungen worden oder habe weitermachen müssen. „Wir haben doch selbst gestrichen, wovon wir wußten, es würde gestrichen werden, und gefragt werden würden wir zudem: Warum hast Du das nicht gestrichen, bist Du doof? Und doof wollten wir nicht sein, wir sind doch nicht doof. Wir haben das Maul gehalten in den Blättern.“
Die Auflösung der alten Macht ist nach Überzeugung des Neuen Forums noch lange nicht erreicht. Mit Blick auf die geplante Gründung einer „Deutschen Forumpartei“ durch Basisgruppen am 27.Januar warnte der Landessprecherrat vor einer Spaltung und rief zur Einheit auf, „um den Kampf mit den sich sammelnden Kräften der alten Ordnung führen zu können“, wie es laut Nachrichtenagentur 'adn‘ heißt. Wer mit formalen Argumenten die Gründung einer Partei unter dem Namen Neues Forum anstrebe, der spalte die Bewegung und stärke die SED-PDS. Das Neue Forum werde - ohne Partei zu sein - in allen Volksvertretungen eigene Kandidaten durchbringen.
Optimistisch gibt sich SED-PDS-Parteichef Gregor Gysi. Er sehe jenseits seiner Partei keine andere Bewegung, die in der Lage wäre, die große Verantwortung für die DDR, wie sie die SED-PDS trage, zu ersetzen. Stabilität könne im Zusammengehen mit anderen politischen Kräften - „aber nicht ohne die SED-PDS“ - erreicht werden, sagte Gysi in Interviews zum Jahreswechsel. In den Wahlkampf solle seine Partei „ethisch gereinigt“ ziehen.
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