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Im Neujahrs-Chaos durchgerutscht

■ In der Silvesternacht gelangten über 600 Vietnamesen durchs Brandenburger Tor nach West-Berlin

Phan Phuc Vinh hat die Ankunft seiner Landsleute vorhergesehen. „Weihnachten und Neujahr werden sie versuchen, an den Grenzübergängen mit durchzurutschen.“ Über 600 Vietnamesen und Kambodschanern ist es im Chaos der Silvesternacht am Brandenburger Tor gelungen, die Seiten zu wechseln. Bis Montag abend war das Deutsche Rote Kreuz damit beschäftigt, den Neuankömmlingen ein notdürftiges Dach überm Kopf zu verschaffen. Phan Phuc Vinh, Leiter des Vietnamhauses in West-Berlin, hat 45 Menschen in seinen kleinen Büroräumen untergebracht. Dort schlafen sie auf dem Boden, werden vom Vietnam-Haus mit Essen versorgt. Heute will Phan mit seinen Landsleuten zum Senat und zum DRK, um nach einer anderen Bleibe zu suchen.

Wie ihre rund 700 Landsleute, die seit Öffnung der Mauer nach West-Berlin gekommen sind, gehören die Neuankömmlinge zu den 60.000 vietnamesischen Arbeitskräften in der DDR. Auch sie werden voraussichtlich Antrag auf politisches Asyl stellen. Nach Auskunft von Detlev Borrmann, Staatssekretär in der Innenverwaltung, habe man vorab die Erfolgsaussichten dahingehend abgeklopft, ob es sich hier „um taugliche Asylbewerber handelt“. Für „tauglich“ wurden die Flüchtlinge offenbar befunden, nachdem sich die Innenverwaltung über die Arbeits- und Unterbringungssituation in der DDR sowie die rigiden Kontrollmaßnahmen durch die vietnamesische Botschaft informiert hatte.

Das DDR-Ministerium für Arbeit und Löhne, zuständig für ausländische Arbeitskräfte, sieht den neuerlichen Verlust von Werktätigen gelassen. Daß man zum Beispiel durch die Ghettoisierung von Ausländern in Wohnheimen, Ausländerfeindlichkeit Vorschub geleistet hat, räumt Jürgen Schröder, Leiter der Abteilung für ausländische Arbeitskräfte, ein. Er gelobt Besserung. Man wolle sich in Zukunft verstärkt um die „soziale Integration“ der Ausländer bemühen. Die vietnamesische Botschaft in Ost-Berlin steht nach Einschätzung Schröders „ziemlich hilflos da“. Den DDR -Behörden wurde von der Botschaft nahegelegt, bei den Grenzkontrollen etwas aufmerksamer zu sein. Botschaftsangehörige sind in der letzten Zeit häufiger in West-Berlin gesichtet worden - offenbar, um die Flüchtlinge mehr oder weniger eindringlich zur Rückkehr zu bewegen. Geködert wird mit dem Versprechen, der „Westausflug“ werde ohne Folgen bleiben; gedroht wird mit negativen Konsequenzen für die Familie im Heimatland. Spätestens seit der Zwangsabschiebung von Hongkongflüchtlingen durch die britische Regierung dürfte der Entschluß der Flüchtlinge feststehen, im Westen zu bleiben.

anb

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