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Securitate-Trupps in den Karpaten verschanzt?

Nach Informationen der österreichischen Hochschülerschaft versteckten sich bis zu 30.000 Agenten der aufgelösten rumänischen Sicherheitsorganisation in den Bergen / Altes Bunkersystem aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg dient als Unterschlupf und Waffenlager  ■  Von Andreas Zumach

Berlin (taz) - Bis zu 30.000 ehemalige Agenten der aufgelösten rümänischen Sicherheitspolizei Securitate sollen sich zur Überwinterung und Neuformierung für künftige Überfälle in Bunkern und Tunneln im Karpatengebirge verschanzt haben. Dies berichtet die österreichische Hochschülerschaft, die seit dem Sturz Ceausescus ein umfangreiches Hilfsprogramm für die Bevölkerung des Nachbarlandes organisiert, unter Berufung auf Informanten aus zahlreichen Städten und Regionen Rumäniens. Außerdem sollen zwei in internationalen Gewässern vor der rumänischen Schwarzmeerküste befindliche Hochseeschiffe den Ex -Securitate-Leuten als Basis dienen.

Die von MitabeiterInnen der Hochschülerschaft begleiteten Transporte mit Lebensmitteln und Medikamenten gehen nicht nur in die großen Materialdepots an der Grenze, sondern auch in zahlreiche Städte im Landesinneren. Wie ihr Sprecher Andreas Toth gegenüber der taz erklärte, hat die Hochschülerschaft „übereinstimmende Berichte“ über die Verschanzung der Ex-Securitate-Leute im Karpatengebirge von zahlreichen Informanten unter anderem aus Bukarest, Brasov (Kronstadt), Oradea und Sibiu (Hermannstadt) erhalten. Unter den Informanten sei auch ein rumänischer Offizier gewesen. Namen wollte Toth nicht nennen, da die Informanten nach wie vor durch Ex-Securitate-Leute gefährdet seien. Toth räumte ein, daß die Zahl von 30.000 eine „Annahme“ ist. Für diese Größenordnung spreche jedoch, daß sich bislang nur „wenige“ der von ungarischen Experten auf 20- bis 50.000 Mann geschätzten Securitate zuzüglich rund 100.000 Kollaborateuren gestellt hätten beziehungsweise bei den Kämpfen der letzten zwei Wochen gefangengenommen oder getötet wurden. Offizielle Zahlen darüber sind von der neuen Regierung in Bukarest bisher nicht bekanntgegeben worden.

Die Karpaten sind aus der Zeit des Ersten und des Zweiten Weltkrieges mit Bunkern durchsetzt. Nach Angaben von Toth hat die Securitate diese Anlagen nach 1945 kartographiert und weitere Bunker sowie unterirdische Tunnelanlagen angelegt. Karten und Informationen seien bis zum Sturz Ceausescus selbst der rumänischen Armee nicht bekannt gewesen.

Die jüngsten Informationen erhielt die Hochschülerschaft von MitarbeiterInnen, die an den letzten beiden Dezembertagen aus Neumarkt beziehungsweise Bukarest nach Wien zurückkehrten. Danach gibt es weiterhin Angriffe von Ex -Securitate-Leuten. So sei die Schienenverbindung zwischen Bukarest und Ploesti gesprengt worden; die Züge müßten derzeit Umwege fahren. Außerdem sei das Gebiet um den internationalen Flughafen weiterhin von Übergriffen betroffen. Gestern sagte die rumänische Fluggesellschaft zunächst alle Verbindungen nach Bukarest ab. Allgemein, so Toth, sei in der rumänischen Bevölkerung mit massierten Attacken der Securitate zum Neujahrstag gerechnet worden. Diese Befürchtung, die sich allerdings im großen Umfang nicht bestätigte, hatten unter anderem Flugblätter der Securitate ausgelöst, die Weihnachten in Hermannstadt auftauchten. Darauf stand „Weihnachten war Euer Fest, an Neujahr feiern wir wieder!“

Es sei nicht auszuschließen, daß die Ex-Securitate-Leute nun in den Karpatenbunkern überwinterten und Übergriffe für die Zeit vor den für April vorgesehenen Wahlen vorbereiteten. In den Bunkern befänden sich umfangreiche Lebensmittel- und Waffenvorräte. Der Sprecher der Hochschülerschaft wandte sich auch gegen die in den letzten Tagen von Diplomaten in Bukarest verbreitete Behauptung, beim Volksaufstand seien „nur“ rund 7.000 Menschen ums Leben gekommen, davon etwa 3.500 in Temesvar. Diese Diplomaten hätten „keine Übersicht“, da sie Bukarest nicht verlassen hätten. Die bereits kurz nach Weihnachten genannte Zahl von 70.000 Toten sei „sehr viel realistischer“, erklärte Toth. Allein in Hermannstadt seien 6.800 Tote gezählt worden. Für Temesvar liegt der taz von den für die Zählung der Toten Verantwortlichen die Zahl von 4.328 vor. Die Zahl der Verletzten sei „drei- bis viermal so hoch“ wie die der Todesopfer, erklärte Toth. Viele Verletzte hätten sich nicht in ärztliche Behandlung begeben, da sie mißtrauisch seien.

Auch aus rumänischen Quellen wurde der taz bestätigt, daß sich vor der Schwarzmeerküste zwei Hochseeschiffe befinden, die Ex-Securitate-Mitgliedern als Basis dienen. Die Nationalität der Schiffe ist unklar.

In der irakischen Hauptstadt Bagdad erklärten am Dienstag die oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin, „eine große Zahl“ von iranischen Revolutionswächtern sei am 20.Dezember nach Rümänien geschickt worden, um das Ceausescu -Regime gegen den Volksauftand zu verteidigen. Darauf hätten sich am Vorabend der in Teheran weilende Ceausescu und der iranische Präsident Rafsandschani geeinigt. Die Volksmudschaheddin legten sieben Namen von angeblich nach Rumänien entsandten Revolutionswächtern vor (siehe unten).

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