piwik no script img

Langweilig und brutal

Der vielgerühmte brasilianische Fußball ist in der Krise, vom grazilen Tanz der Pele und Zico ist nichts geblieben  ■  PRESS-SCHLAG

Bei ihren gelegentlichen Europa-Ausflügen hat sich die Nationalmannschaft Brasiliens mit 1:0-Siegen gegen Italien und die Niederlande in den engsten Favoritenkreis für die Fußball-WM 1990 geschmuggelt, zu dem sie allerdings qua Reputation ohnehin längst gehört. Im Lande selbst ist es jedoch äußerst schlecht bestellt um den Fußball. Langweilige Spiele, leere Stadien und eine Brutalität, die „jeden Film mit Charles Bronson in den Schatten stellt“ (der englische Journalist Brian Homewood), sind charakteristisch für die derzeitige desolate Situation.

Bereits eine kurzer Blick auf die berühmten Strandfußballer von Rio gewährt einen Eindruck von der heutzutage im Lande der Ballzauberer gepflegten Spielkultur. Anstelle technischer Kabinettstückchen dominiert die Heimtücke, kein Akteur kommt an einem anderen vorbei, ohne noch schnell einen Tritt vors Schienbein abzukriegen. Allein die Barfüßigkeit der Kicker verhindert eine Flut von Knochenbrüchen.

Bei den Profis sind die Füße besser bewehrt, ansonsten geht es auf dem Rasen genauso zu wie an der Copacabana. Es wird nach allem getreten, was sich bewegt, die Schiedsrichter agieren, wie ein Beobachter konstatierte, als befände sich ein hungriger Piranha in der Tasche, wo sie die gelben und roten Karten verwahren, alle Mannschaften befleißigen sich einer strengen Defensive, und liebster Zeitvertreib ist die Spielverzögerung.

Beim traditionsgeladenen Lokalderby von Rio de Janeiro, das Flamengo mit 2:0 gegen Fluminense gewann, kamen immerhin 73.000 Zuschauer ins Maracana, nicht viel für dieses gigantische Stadion, aber doch eine Menge bei einem allgemeinen Zuschauerschnitt von knapp 10.000. Es war ein niveauloses Spiel, lediglich Flamengos am Ende ihrer Karriere befindlichen Ballvirtuosen Zico und Junior ließen ein wenig Brillanz aufblitzen. Ansonsten wurde umgemäht, wer gerade am Ball war, und wenn ein Spieler den fälligen Freistoß ausführen wollte, stand ein anderer endlos lange vor dem Ball, um ihn daran zu hindern. Hätte das System der effektiven Spielzeit gegolten, so Reporter Homewood, würde die Partie wohl noch bis zur nächsten Eiszeit dauern.

Dabei tummelte sich, obwohl Leute wie Careca, Romario, Alemao, Jorginho und Geovani in Europa spielen, ein ganze Palette hochkarätiger Balltreter auf dem Platz: bei Flamengo neben den Genannten etwa der Argentinier Claudio Borghi, der reumütig vom AS Rom zurückgekehrte exzentrische Renato und der allseits umworbene Josimar, im Trikot Fluminenses der ebenfalls bei Rom gescheiterte Andrade, der Ex-Leverkusener Tita sowie Bebeto, auf dem das besondere Augenmerk lag.

In ihm sehen viele den Superstar der nächsten WM, und bis vor einem halben Jahr spielte er noch bei Flamengo. Wegen finanzieller Schwierigkeiten mußte er verkauft werden, und er ging ausgerechnet zum verhaßten Lokalrivalen. Zusätzliches böses Blut kam ins Spiel, als Flamengo-Direktor Braga vor dem Derby erklärte, die einzige Möglichkeit, Bebeto wirksam zu bewachen, sei mit Gewalt. Bebeto indes hielt Angriff für die beste Verteidigung, trat einen Gegenspieler, der ihn am Freistoß hindern wollte, ans Schienbein und flog gemeinsam mit diesem vom Platz.

Grund für den Niedergang des brasilianischen Fußballs ist vor allem völlige Desorganisation. Es gibt zahllose regionale Meisterschaften, an die eine kurze nationale Meisterschaft gehängt wird. Die seit Jahren vor allem von den Spitzenspielern geforderte einheitliche Liga scheitert immer wieder am Widerstand der regionalen Funktionäre, die eifersüchtig „ihre“ Meisterschaften verteidigen.

Ein weiteres Problem ist die Selbstherrlichkeit der Vereinspräsidenten, die sich ständig mit ihren Kollegen streiten, sich für begnadete Fußballexperten halten, nach eigenem Gutdünken Spieler ein- und verkaufen, in die Aufstellung hineinreden und beim kleinsten Mißerfolg den Trainer feuern. Jedes Team verbraucht pro Saison drei oder vier Trainer, eine kontinuierliche Arbeit ist nicht möglich, und aus Angst vor Entlassung setzen die Coaches vor allem auf Sicherheit. Das weitaus häufigste Resultat ist 0:0, ein Fußballmatch in Brasilien ist, wie der um passende Formulierungen nie verlegene Homewood beschreibt, so aufregend, wie das Gras wachsen zu hören. Eine Besserung ist nicht in Sicht. „Jeder weiß den richtigen Weg“, sagt Erfolgstrainer Espinosa vom Meister Botafogo, „aber niemand geht ihn.“

Matti

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen