piwik no script img

DDR muß internationale Kreditaufnahme ausweiten

■ Nettoauslandsverschuldung höher als bekannt / Neues Forum auf Kollisionskurs

Ost-Berlin (dpa/taz) - Bei der 5. Sitzung am runden Tisch in Ost-Berlin standen am Mittwoch vormittag wirtschaftspolitische Fragen im Mittelpunkt. Wirtschaftsministerin Chista Luft (SED) berichtete den Vertretern der Volkskammerparteien und der Opposition, daß die DDR weitere Kredite aufnehmen muß. Grund dafür ist, daß die Deviseneinnahmen des Jahres 1989 mit 9,3 Milliarden US -Dollar geringer waren als die Ausgaben in Höhe von etwa 11,7 Milliarden US-Dollar.

Wirtschaftsministerin Luft teilte dem runden Tisch Einzelheiten über die Auslandsschulden der DDR mit. Die Auslandsverpflichtungen den nichtsozialistischen Ländern gegenüber betragen derzeit insgesamt 20,6 Milliarden US -Dollar. Die Guthaben bei westlichen Banken bezifferte die Ministerin auf zwischen sieben und neun Milliarden Dollar. Frau Luft bedauerte, daß von diesen Auslandsschulden nur gut 20 Prozent langfristig und produktiv - beispielsweise im Import moderner Ausrüstungsanlagen - angelegt seien.

Der größere Teil der Mittel sei für Importe von Verbrauchsgütern, zur Produktionssicherung und ähnlichem festgelegt. Die Regierung habe „hier ein Erbe übernommen“. Erstmals wurde damit von regierungsamtlicher Seite zugestanden, daß während der Honecker-Ära die Devisenkredite nur in geringem Maße zur Modernisierung der Produktionsstrukturen verwendet wurden. Diese Verwendungsstruktur dürfte die Schuldendienstprobleme der DDR-Wirtschaft in der nächsten Zukunft weiter belasten.

Zu dem DDR-Defizit bei der Devisenrechnung für 1989 sagte Frau Luft, von den Einnahmen in Höhe von 9,3 Milliarden US -Dollar entfielen 75 Prozent auf Exporte aus Waren und Leistungen. Der Rest resultiere aus Güter- und Personenverkehr sowie Vereinbarungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Von den 11,7 Milliarden Dollar-Ausgaben seien allein etwa 9,5 Milliarden unter anderem notwendig für die Bezahlung von Importen und zur Zinstilgung.

Mit diesen Ausführungen wurde zum ersten Mal von offizieller Seite etwas Licht ins Dunkel der Auslandsverschuldung der DDR gebracht. Bislang war immer noch die Rede davon, daß die Auslandsforderungen der DDR weit über zehn Milliarden US-Dollar betragen. Wirtschaftsministerin Luft machte allerdings auch bei dieser Gesprächsrunde keine präziseren Angaben über die Art und Qualität der Auslandsforderungen der DDR. Wie aus westlichen Bankerkreisen bekannt wurde, soll die DDR in großem Maße Forderungen gegenüber Regierungen von Drittweltländern in ihrem Portefeuille haben, die sich selbst im internationalen Schuldenstrudel befinden.

Ein größerer Teil dieser Forderungen dürfte deshalb einen eher dubiosen Charakter haben. Stellt man diese schlechte Qualität der Auslandsforderungen der DDR in Rechnung, dann dürfte die Nettoauslandsverschuldung noch wesentlich höher anzusetzen sein, als sie von Wirtschaftsministerin Luft beziffert wurde.

Unterdessen hat das oppositionelle Neue Forum scharfe Kritik an der Regierung Hans Modrow geäußert. Über eine weitere Teilnahme am runden Tisch will das Forum nach der Sitzung an diesem Mittwoch entscheiden.

Wie der Mitbegründer des Neuen Forums, der Wissenschaftler Jens Reich, im Deutschlandfunk sagte, dienten die gemeinsamen Beratungen derzeit nur zur Beruhigung der Bevölkerung. Die Regierung habe viele offene Fragen nicht beantwortet. Künftig müsse die Opposition schon in der Vorbereitungsphase wichtiger politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen informiert werden, um Einfluß ausüben zu können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen