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Die Wendehälse krähen auch in Rumänien

■ Riesiger Zulauf zur „Front der Nationalen Rettung“ / Frühere Ceausescu-Speichellecker präsentieren sich nun als überzeugte Anhänger der neuen Führung / Dichter schwenken von „Wir alle sollten Ceausescu lieben“ zu „Schaut ihn euch an, diese heimtückische Schlange

Bukarest (afp) - Seit dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu hat auch Rumänien seine Wendehälse oder seine „Wendekleidung“, wie es in der Landessprache heißt. Die Zahl der Kollaborateure des alten Regimes, die sich in den letzten Tagen zu eifrigen Demokraten gewandelt haben, ist derart hoch, ihre Bekehrungsschwüre sind so dick aufgetragen, daß Bevölkerung und Medien inzwischen die Nase voll haben. Die Zeitungen haben regelrecht zur Jagd auf die penetrantesten Vertreter dieser Wende-Demokraten geblasen.

Offen wundern sie sich über den riesigen Zulauf, den die neue rumänische Führung - der Rat der Front zur Nationalen Rettung - innerhalb kürzester Zeit verzeichnete. „Warum gibt es in unserem Land soviele Leute, die uns mit ihrer neuen Mitgliedschaft im Rat nerven? Wir haben uns jedenfalls entschlossen, ihre Namen nicht mehr zu veröffentlichen“, schreibt die Zeitung 'Freies Rumänien‘. Immer wieder zitiert 'Freies Rumänien‘ die Namen prominenter Regimeanhänger, die sich noch rechtzeitig auf die Seite der „Aufständischen“ geschlagen haben und sich nun unverfroren in der Öffentlichkeit als Anhänger der neuen Führung präsentieren. Das Blatt appelliert an alle Persönlichkeiten, „deren Aussehen zu sehr an den Alptraum des alten Regimes erinnert“, sich den „Opfern der Revolution“ zuliebe nicht mehr zu zeigen, in sich zu kehren und über die eigene Mitschuld nachzudenken.

Dieser Aufruf gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für „Olga, Delia, Mateescu“, die Schauspieler des Bukarester Staatstheaters, für den Regisseur Serguei Nicolaescu und die Fernsehjournalistin Carmen Dumitrescu. Sie sollten auf weitere öffentliche Auftritte verzichten, sich zunächst einmal vor den Toten verbeugen und ihr eigenes Tun überdenken. Besonders hart ins Gericht gehen die Medien mit dem Dichter Adrian Paunescu, obwohl seine glühenden Oden an Ceausescu schon zu Beginn der achtziger Jahre etwas an Schwung und Enthusiasmus verloren hatten. So stark seine Verehrung für den „Sohn und Vater Rumäniens“ einstmals war, so stark scheint seit dem 23.Dezember sein Haß auf ihn zu sein. In seinen frühen Werken hatte er noch geschrieben: „Ich traue mich nicht, seinen Namen zu nennen, aus Angst, seine Größe zu schmälern, wenn ich von ihm spreche. Doch die Geschichte verlangt es von mir; wir alle sollten ihn lieben, ihn, der den Sieg in der Schlacht für die Menschen verkörpert.“ Ganz anders der Zungenschlag am 23.Dezember, einen Tag nach dem Sturz Ceausescus: „Schaut ihn Euch an, dieses unmenschliche Gesicht mit seinem altsteinzeitlichen Kiefer, diesen Analphabeten, der uns lehrt; lispelnd wie eine heimtückische Schlange.“ Trotz seiner „Bekehrung“ entkam Paunescu nur knapp der Lynchjustiz. Als er bei einem Spaziergang durch die Straßen Bukarests erkannt wurde, stürzte sich eine Gruppe Passanten wutentbrannt auf ihn, er konnte sich gerade noch hinter ein paar Soldaten verstecken, die den Eingang einer Botschaft bewachten.

Vor allem die Jugend erträgt immer schlechter diese Atmosphäre der raschen Bewußtseinswandlungen. Der Kritik müssen sich immer häufiger auch Vertreter der neuen Führung stellen, zumeist Kommunisten oder ehemalige Mitglieder des Ceausescu-Regimes, bevor sie von dem „Conducator“ kaltgestellt worden waren. Ihnen wird vorgeworfen, in Erwartung eines Aufstands gegen den Diktator rechtzeitig auf Distanz gegangen zu sein. Petre, ein 21jähriger Student, sieht darin auch den eigentlichen Grund, warum der neue Rat der Front zur Nationalen Rettung immer wieder vor einer „Hexenjagd“ warnt und die Bevölkerung zu Toleranz aufruft. Nach seiner Ansicht gibt es einfach zu viele Hexen.

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