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Der 'Neue Weg‘ im neuen Licht

Rumäniens deutschsprachiges Tageblatt im Wendetaumel: „Wir lernen schreiben“  ■  Aus Brasov Roland Hofwiler

In den entscheidenden Tagen erschien es einfach nicht, Ceausescus deutschsprachiges Propagandablatt 'Neuer Weg‘. Und dann, als sei nichts gewesen, präsentiert sich das Tageblatt am 27.Dezember mit neuer Aufmachung. Es tue ihr wirklich leid, schreibt da die Chefredakteurin Edda Reichrath, daß sie über Jahre Ceausescu gehuldigt habe. „Wir haben unsere Sprache mißbraucht, eine Flut von superlativen Adjektiven verwendet, der bombastische Stil liegt uns im Magen.“ Aber jetzt sei doch alles anders: „Während die Schüsse verhallen, lernen wir schreiben.“ Und daneben eine Leserzuschrift des Ingenieurs Dumitru Constantinescu, der von sich sagt, er sei zwar des Deutschen nicht sonderlich mächtig, aber er habe schon immer erkannt, der 'Neue Weg‘ „sei die lesenswerteste Zeitung“, die es unter Ceausescu gegeben habe. Sie habe es hin und wieder fertiggebracht, klug der Zensur zu entgehen, und jetzt freue er sich, daß die deutsche Minderheit endlich eine freie Zeitung ihr eigen nennen könne.

Stimmt, was Constantinescu zu sehen glaubte? Vor einem Jahr veröffentlichte der 'Neue Weg‘ tagelang folkloristische Dorfporträts und pries das Dorfleben. Genau zur gleichen Zeit war Ceausescus Plan zur „Systematisierung der Dörfer“ in aller Munde. Eine Ironie? Doch meine rumäniendeutschen Schriftstellerfreunde belehrten mich eines besseren: Das ist Zufall. Sprachliche Subversivität kannte man nicht im Reich des Conducator.

Jetzt muß man nicht mehr zwischen den Zeilen lesen. Seitenlang wird über die Villen berichtet, in denen der Ceausescu-Clan seine Feste feierte, pathetisch von der „großen nationalen Revolution“ gesprochen, geträumt, was jetzt alles besser wird: „Kaffee, Kakao, Tee, Apfelsinen und andere Köstlichkeiten wieder im Handel“, lautet eine Schlagzeile - die leider nicht der Tatsache entspricht.

Auch Rachegefühle kommen zwischen den Zeilen durch: „Banden weitgehend ausgeschaltet“ lautet eine Schlagzeile. Man werde die Terroristen, die wie alle Terroristen nichts tun als blindwütig töten, kaltstellen, so Redakteur Peter Müller, der kein Unbekannter ist. Als Übersetzer von Ceausescu-Reden ins Deutsche machte er sich einen unrühmlichen Namen. Dennoch, wer den 'Neuen Weg‘ erstehen will, muß zeitig aufstehen: Ab sechs Uhr früh ist er an den Kiosken ausverkauft.

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