piwik no script img

Panama: Die Geschichtsfälscher sind am Werk

Tausende von Opfern des von den USA zerbombten Armenviertels Chorrillo halten sich immer noch in einem Baseballstadion auf / Schon verbreiten von den USA inthronisierte panamaische Politiker die Lüge, Noriega-Bataillone seien für die Zerstörung verantwortlich  ■  Aus Panama-Stadt Ralf Leonhard

Das Baseballstadion von Balboa am Fuße des Ancon-Hill, des Sitzes des Südkommandos der US-Streitkräfte, ist durch Nato -Drahtverhaue abgeriegelt. Drei gelangweilte US-Soldaten kontrollieren die Ausweise der Besucher und durchwühlen deren Taschen. Das Sportgelände dient rund 12.000 Obdachlosen als provisorische Unterkunft. Die meisten kommen aus dem Altstadtbezirk Chorrillo, wo ihre Häuser während der Invasion vom 20.Dezember in Grund und Boden gebombt wurden.

Guillermo Cochez, ein Abgeordneter der Christdemokratischen Partei, taucht plötzlich mit einem Stab von Mitarbeitern im Lager auf, schüttelt Hände, macht Versprechungen, klopft Obdachlosen auf die Schulter und verschwindet wieder. Cochez hat nach der US-Invasion die Stadtverwaltung übernommen und ist daher für das Wiederaufbauprogramm verantwortlich. Es besteht ein Plan, die Häuser an den alten Standorten wieder aufzubauen. 35 Millionen Dollar sollen die USA dafür versprochen haben. Dem Christdemokraten, dem die Invasoren zu seinem Posten verholfen haben, schlägt keine Entrüstung entgegen. In den wenigen Tagen, die seit dem gewaltsamen Einfall der US-Truppen vergangen sind, ist die Geschichte bereits umgeschrieben worden. Nicht die Bombardements der US -Luftwaffe sollen die Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt und über tausend Zivilisten getötet haben, sondern die „Bataillone der Würde“. Diese paramilitärischen Einheiten haben sich in den wenigen Monaten ihrer Existenz durch Repression und alle Arten von Übergriffen einen so schlechten Ruf geschaffen, daß ihnen die Bevölkerung jede Übeltat zutraut. Die Noriega-treuen Bataillone sollen auch die vielen Toten auf dem Gewissen haben, versichern Flüchtlinge im Balboa-Stadion. Sie hätte es zwar nicht selber gesehen, erzählt die 52jährige Sonia Ortiz, doch wisse sie diese Dinge aus zuverlässiger Quelle. Nur diejenigen, die die Attacke wirklich voll miterlebt haben, können diese Geschichtsfälschung nicht teilen.

Margarita Guerrero lagert mit ihrer elfköpfigen Familie auf drei Matratzen in der Basketballhalle. Sie konnte sich während der Invasionsnacht in die Kirche retten, bevor ihr Haus mit einem großen Knall in sich zusammensackte. Sie muß zwar mit anderen auf engstem Raum zusammengepfercht leben, hat aber zumindest ein Dach über dem Kopf. Draußen auf dem Baseballfeld hat manche Familie kaum eine Plastikplane, um sich gegen die Feuchtigkeit zu schützen. Nicht jeder konnte ein Militärzelt ergattern. Manche haben ihren engen Lebensraum mit ein paar Wäschestücken abgesteckt oder versuchen durch eine Decke oder ein paar irgendwo mitgenommene Planken etwas Intimität herzustellen. Rosa Brooks gehört zu den Glücklichen, die am nächsten Tag in die Kaserne auf dem Luftwaffenstützpunkt Albrook übersiedeln sollen. Frauen mit kleinen und schulpflichtigen Kindern haben Vorrang. Die Leute müssen in feste Unterkünfte verlegt werden, denn bis die Häuser wieder aufgebaut sind, können vier bis sechs Monate vergehen, schätzt ein optimistischer Bauingenieur. Wie viele noch im Stadion lagern, weiß keiner so genau, berichtet Sergeant Mazur von einer Fallschirmjägereinheit in Fort Bragg, der die Essensausgabe überwacht: „Es gibt hier mehrere offizielle Erhebungen, die einander alle widersprechen.“ Der Unteroffizier ist nicht so recht überzeugt von der Sinnhaftigkeit seines Tuns: „Wir haben hier einen Noriega gegen einen anderen ausgetauscht. Die Leute werden bald merken, daß sie einmal mehr beschissen wurden.“ Keine Selbstzweifel plagen hingegen Sheila aus Alabama, die auf einem Panzer am Eingang des Südkommandos sitzt. Zwar würde sie nicht gerne noch einmal von Scharfschützen unter Feuer genommen werden, „aber wir wurden hier gebraucht, weil es so viele Obdachlose gab“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen