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Zehn Jahre Militärgefängnis für „Ehebruch“

Ein US-Militärgericht urteilt in Bad Kreuznach nach amerikanischem Recht / Schwarze Soldatin hatte mit einem verheirateten Sergeant geschlafen / Der Mann wurde befördert, die Frau wegen diverser „Taten“ verurteilt  ■  Von Wolfgang Bartels

Bad Kreuznach (taz)- „Aber Ehebruch ist in Deutschland doch überhaupt nicht strafbar!“ Vergebens versucht Rechtsanwalt Joel Cohen das Hohe Gericht davon zu überzeugen, daß die „Schuld“ seiner Mandantin Derdre Ellis so groß nicht sein kann, wie es ihr die Anklage vorwirft. Doch diese Gerichtsverhandlung findet zwar auf deutschem Boden statt, nicht aber nach deutschem Recht.

Das Gerichtsgebäude befindet sich auf dem Gelände der „Rose Barracks“ in Bad Kreuznach, direkt gegenüber dem Stabsgelände der 8.US-Infanteriedivision. Angeklagt vor dem Militärgerichtshof ist die Soldatin Derdre Ellis. Die Liste der Anklagepunkte ist lang. Unter anderem wird ihr Urkundenfälschung, Ehebruch, unerlaubte Abwesenheit von der Truppe und Gefährdung des Flugverkehrs vorgeworfen. Das kürzlich ergangene Urteil lautet auf zehn Jahre Militärhaft.

Die schwarze Soldatin hat einige Jahre ihrer Dienstzeit in Bad Kreuznach verbracht. Nicht immer fällt es ihr leicht, sich der militärischen Disziplin unterzuordnen. Die Schwierigkeiten beginnen jedoch erst, so Derdre, als einer ihrer Vorgesetzten, ein Weißer, sie ständig mit sexuellen Anspielungen traktiert. Er habe sie gar aufgefordert, mit ihm zu schlafen. Derdre läßt ihn abblitzen, reicht eine Beschwerde ein. Abgelehnt, weil sie die sexuellen Übergriffe nicht beweisen kann.

In dieser Zeit verliebt sich Derdre in einen schwarzen Soldaten, Sergeant Arthur Kelly. Kelly ist verheiratet, lebt jedoch von seiner Frau offiziell getrennt. Bald darauf wird Derdre zurück in die Vereinigten Staaten, nach Fort Dix, versetzt. Ende November 1988 kommt sie zu einem Besuch nach Bad Kreuznach, um sich mit Kelly zu treffen. Allerdings ist ihr Dienstgrad zu niedrig, um im Gästehaus der Division ein Zimmer zu bekommen. Also stuft sie sich auf dem Formular einige Ränge nach oben. Sie begeht „Urkundenfälschung“, trägt ein: „Sgt. Derdre Ellis.“

Für ihren früheren Vorgesetzten schlägt die Stunde der „Rache“. Ein Tip an die Militärpolizei genügt; Derdres Zimmer wird zu früher Morgenstunde durchsucht. Zusammen mit Kelly wird sie unbekleidet im Bett gefunden. Die kriminologische Untersuchung des Bettuchs weist Samenspuren nach. Derdre wird zurückgeschickt nach Fort Dix.

Dort flüchtet sie aus der Kaserne, weil sie nun den Militärdienst quittieren will. Die Militärpolizei findet Derdre Ellis nach einigen Wochen der „unerlaubten Abwesenheit von der Truppe“ bei ihrer Mutter. Derdre wird verhaftet. Am 8.August soll sie zum Prozeß nach Bad Kreuznach gebracht werden. Doch Derdre schluckt über vierzig Tabletten. Der Flug muß verschoben werden. Weil sie als selbstmordgefährdet eingestuft wird, erhält sie eine psychiatrische Betreuung.

Schon wenige Tage später, entgegen dem Rat der Psychologin, erfolgt ihr Abtransport mit einem zivilen Verkehrsflugzeug. An Händen und Füßen mit Ringeisen gefesselt, wird sie durch die Abflughalle des Philadelphia International Airport geführt. (Vor dreihundert Jahren wurden wir noch verbrannt. Wie weit der Fortschritt doch ist. d.säzzerin) Im Flugzeug müssen ihr wegen der Flugvorschriften die Ketten abgenommen werden. Als das Flugzeug startet, bekommt Derdre einen hysterischen Anfall. Sie klettert auf ihren Sitz, schlägt um sich und schreit: „Sie wollen mich töten! Sie wollen mich töten!“

Der Pilot bricht den Start ab und landet wieder in Philadelphia. Derdre wird von der Flughafenpolizei abgeführt. Sieben Tage nach jener „Gefährdung des Flugverkehrs“ wird sie in einem Militärflugzeug nach Europa geflogen - diesmal sind ihre Hände während des Fluges auf den Rücken gebunden. Im Mannheimer Militärgefängnis wartet Derdre Ellis seit dem 22.August auf ihren Prozeß, der kurz vor Weihnachten in Bad Kreuznach stattfand.

Der Richter thront vor einer US-Flagge, neben ihm fünf Geschworene, allesamt hochdekorierte Offiziere der Bad Kreuznach Community - und alle mit weißer Hautfarbe. Derdre bemüht sich nicht, ihre Taten zu leugnen. Sie bekennt sich schuldig im Sinne der Anklage. Als der Richter die mögliche Höchststrafe, 32 Jahre und sechs Monate Gefängnis sowie Ausschluß aus der Army, nennt, bricht Derdre in Tränen aus.

Als Ankläger fungiert ein junger Hauptmann, Captain Paul P.Holden Jr. Voller Empörung ruft er den Geschworenen zu: „All ihre Verbrechen hat sie in dieser Uniform begangen. Sie hat die Ehre dieser Uniform beschmutzt. Unser Standpunkt ist: Wir brauchen sie nicht mehr!“ Als Strafe fordert er fünf Jahre Gefängnis. Verteidiger Cohen redet den Geschworenen ins Gewissen, daß die Ehre einer Uniform doch nicht von diesem Einzelfall abhänge. Die Ehre der Uniform sei auch von jenen nicht geachtet worden, die sie gefesselt durch die Abflughalle führten. Zudem seien hier Taten wie Ehebruch angeklagt, die in dem Land, in dem sie begangen wurden, überhaupt nicht strafbar seien.

Die Geschworenen ziehen sich zur Beratung zurück. Nach zwanzig Minuten kommen sie wieder in den Gerichtssaal. Der Richter verkündet das Urteil: zehn Jahre Militärgefängnis mit anschließender unehrenhafter Entlassung aus der Army. Bei guter Führung hat Derdre Ellis die Chance, nach zwanzig Monaten entlassen zu werden.

Sgt. Kelly ist nicht mehr in Bad Kreuznach. Er wurde vor einiger Zeit nach Korea versetzt. Übrigens sollte auch er wegen des „Ehebruchs“ um einen Dienstgrad zurückgestuft werden. Doch dieses Papier kam nie in Korea an. Kelly wurde inzwischen zum Offizier befördert. Derdre muß in Fort Dix ihre Haftstrafe absitzen.

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