: „Die hatten es auf meinen Bruder abgesehen“
■ Vor zehn Jahren wurde der linke türkische Lehrer Celalettin Kesim von Faschisten ermordet / Heute abend Gedenkdemo
5. Januar 1980. Ein Sonnabendmorgen in Kreuzberg. Haupteinkaufszeit. Am Kottbusser Tor verteilen Mitglieder des türkischen demokratischen Arbeitervereins Flugblätter gegen das türkische Militär, das der konservativen Regierung in Ankara offen mit dem Putsch droht. Als die rund 30 Flugblattverteiler gerade aufbrechen wollen, stürzen aus der benachbarten Moschee an die 80 mit Ketten, Messern, Schlagstöcken und Pistolen bewaffnete Türken und schlagen auf ihre Landsleute ein. Es sind Anhänger der religiös -fanatischen Nationalen Heilspartei, Graue Wölfe und Leute aus der Moschee.
Einige der Linken versuchen verletzt zu fliehen, doch die Angreifer sind in der Übermacht. Auch Passanten werden in dem Gemetzel verletzt. Einer der Türken, der Berufsschullehrer Celalettin Kesim wird von zwei Schlägern attackiert, schwer aus einer Schlagader blutend bricht er bewußtlos zusammen. Seine Freunde versuchen ihn in Sicherheit zu bringen. Doch der Krankenwagen kommt erst eine Viertelstunde später. Für Kesim ist es zu spät, er stirbt im Krankenhaus. Zehn weitere Türken werden verletzt.
Heute, nach zehn Jahren, wird es um 17.30 Uhr eine Gedenkdemonstration für Celalettin Kesim geben. Sie wird veranstaltet vom Neuköllner Türkenzentrum und führt vom Hermannplatz zum Kottbusser Tor, anschließend wird es um 19.30 Uhr eine Veranstaltung im Türkenzentrum in der Schinkestraße 8 geben. Wie Aysan Uctan vom linksorientierten Türkenzentrum der taz sagte, gab es damals, noch vor dem Militärputsch im September 198O, in Berlin immer wieder gewalttätige Angriffe von faschistischen Grauen Wölfen und religiösen Fanatikern auf linke Gruppen. Damals sei die Stimmung „aggressiv und gespannt“ gewesen. Heute sei die Situation in Berlin ruhiger, die Grauen Wölfe spielten heute weniger eine Rolle, die religiösen Gruppen seien aber stärker geworden. „Allerdings gebärden sie sich nicht so aggressiv wie damals“, meint Uctan.
Heute habe man im Türkischen Zentrum eher „Angst vor den Republikanern“. Die hätten schon mehrere Male versucht, das Zentrum zu Überfallen. Auch der Bruder von Celalettin, Hasan Kesim, der bei dem Überfall vor zehn Jahren schwer an der Schulter verletzt wurde, bestätigt, daß Überfälle „damals kein Einzelfall waren“. Durch die Forderung des türkischen Militärs an die Demirel-Regierung, härter gegen „Anarchie und Subversion“ vorzugehen, hätten die faschistischen Gruppen in Deutschland damals Auftrieb bekommen. Er glaubt nicht daran, daß sein Bruder, damals Sekretär des Türkenzentrums, ein zufälliges Opfer war. „Die hatten es auf ihn abgesehen, denn er war damals der Aktivste.“
Vermutlich wird es in Kreuzberg bald auch eine Gedenktafel für Celalettin Kesim geben. Der Lehrer Klaus Emrich hat mit seiner 4. Klasse von der Grundschule am Mariannenplatz, mit der er antifaschistische Geschichte des Stadtteils durchnahm, bei Bezirksbürgermeister König vorgesprochen. Der sagte angesichts der engagierten Kids sofort ja.
kotte
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