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Zahlen, Namen und Grimassen

■ Vittorio Gassman, berühmter italienischer Schauspieler, über Samuel Beckett

Ich sah Beckett zuletzt vor einigen Jahren, als er und ein englischer Produzent mir ein Remake von Film vorschlugen, eine Arbeit, die Beckett schon einmal mit Buster Keaton realisiert hatte. Das Remake (zu dem es nie kam) sollte differenzierter und länger als das Original werden. Ich habe das Skript aufbewahrt. Es ist interessant vor allem durch die manische Genauigkeit, mit der jede einzelne Bewegung aufgezeichnet wurde: auch diesmal kein Dialog, sondern eine stimulierende Spannung, die sich aus der Relativität der Gesichtspunkte von Held und Kamera ergibt. Wie immer bei Beckett ein geheimes Schwanken zwischen Clownerie und Algebra, eine geometrische, körperliche Tragik.

Meine erste Beziehung zu dem irischen Schriftsteller wurde anläßlich einer dramatischen Bearbeitung seines Romans Der Namenlose geknüpft, die ich in den 60er Jahren vorgenommen hatte. Ich bat ihn um seine Aufführungsgenehmigung; er erteilte sie in einem kurzen Brief in zittriger, zugleich minutiöser Handschrift. Er stimmte meiner Dramatisierung des Textes zu. Ich glaube, es handelte sich wirklich um eine sehr texttreue Bearbeitung des Romans. Jedenfalls wurde das, was Adorno und andere Kritiker in den Mittelpunkt von Becketts Denken und Kunst stellen, sehr deutlich: der Zwang, das Wort schon in dem Augenblick, da es artikuliert wird, zu zerstören und zu versuchen, weiter zu sprechen, mit den verknautschten, zerkauten Wörtern, ein einziger Überlebensversuch: “... Im Schweigen weiß man nicht... man muß weitermachen..., und ich mache weiter...“.

Die meines Erachtens zentralen Beckettschen Stilmittel sind einerseits die ständige, fast schon obsessive Wiederholung (die dem Interpreten viele Schwierigkeiten, aber auch zahllose Möglichkeiten des mimischen und sprachlichen Ausdrucks gibt); andererseits die Verwendung des Französischen, einer Sprache also, die nicht „seine“ ist, also verfremdet, für ihn weniger reich an Bildassoziationen als das Englische. Sie ist darum viel geeigneter für die Reise ins Reich jenseits des Schweigens, für jenes Bewußtsein von der Nichtigkeit des Menschen, die Beckett dem Pascal der „Gedanken“ und dem Nihilismus Ciorans so ähnlich erscheinen läßt.

Man könnte lange über die Bedeutung der Zahl in Becketts Welt sprechen: die emblematische Unauflösbarkeit des Dezimalen, das Geheimnis der Null und der Serien. Daß das etwas mit der besonderen Welt des Theaters zu tun hat, scheint ferner, als es ist.

Die Zahl und die „Namen“. Becketts gesamte Nomenclatura ist symbolisch und clownesk in einem; ein Maskenzug, der an ein Kabarett erinnert. Die Taxonomie der Epitheta, der Grimassen, der Refrains; Clov, Watt, die Serie der antiheroischen M.s (Murphy, Molloy, Malone, Mahood...) gehören ganz wesentlich zu jener Vieldeutigkeit, die auch in dem Moment nicht aufhört, zu lachen und sich lustig zu machen, da der Tod und das Nichts das Spiel bestimmen.

L'Espresso, 13.4.1986

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