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Japan: Das neue ökonomische Feindbild der USA

Sackgasse in den Wirtschaftsverhandlungen zwischen Japan und den USA/ Teil 2: Wer trägt Schuld an den Problemen im US-amerikanisch-japanischen Wirtschaftsverkehr?/ Ausverkaufsängste der USA werden in Japan nicht ernstgenommen/ Unterentwickelter Binnenmarkt die Grundlage für Japans Weltmarkterfolg  ■  Aus Tokio Georg Blume

„80 Prozent des Problems liegen auf unserer Seite und 20 Prozent auf der japanischen“, analysierte die Handelsministerin der USA, Carla Hills, im vergangenen Herbst das Verhältnis zwischen den USA und Japan. Diese Einschätzung machte schnell die Runde. Auf solch einen deutlichen Satz hatten Japans Politiker und Unternehmer seit Jahren gewartet. Seitdem wird kein japanischer Verantwortlicher mehr müde, die Worte Carla Hills‘, der höchsten US-Vertreterin in den US-japanischen Wirtschaftsstrukturverhandlungen, zu wiederholen. Denn Carla Hills hat Nippon freigesprochen. Wie gut, wenn der große Bruder endlich zur Besinnung kommt und einsieht, daß es seine eigenen Schwächen sind, die die Krise heraufbeschwörten.

Beschwichtigung war zum Ausklang des Jahrzehnts dringend nötig, damit die Regierungen in Tokio und Washington in der Öffentlichkeit die Harmonie bewahren konnten. „Sowohl in Japan wie in Amerika entwickeln sich Ablehnung, Mißtrauen und Wut zu einer wahren Schizophrenie“, bemerkt Kenichi Ohmae, Chef von McKinsey & Company in Tokio. Ohmae gilt sonst als einer der besonnensten und kompetentesten Kommentatoren unter Nippons führenden Managern. Doch als Zeichen der Zeit geht auch er mit dem geschätzten Verbündeten scharf ins Gericht: „Die Finanzpolitik der letzten Jahre, die einen schwachen Dollar schuf, war ja nicht die Idee der Japaner, sondern der US-Politiker. Die argumentierten, daß ein billiger Dollar den US-Unternehmen größere internationale Wettbewerbsfähigkeit verschaffen würde. Aber das ist eine sehr oberflächliche Abhilfe. Normalerweise muß man Qualität und Produktivität verbessern, um Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen.“ In Japan werden nun von allen Seiten die Kurzsichtigkeit US-amerikanischer Wirtschaftsplanung oder die Defizite im Bildungssystem der USA angeführt, um eine Erklärung für den ungelösten Konflikt zu finden.

Das Ende der Sackgasse, in der die Verhandlungen beider Länder stecken, ist sichtbar geworden. Seit über einem Jahr stagnieren die einst mit hohen Erwartungen überschütteten Wirtschaftsstrukturverhandlungen, deren vorrangige Aufgabe es ist, Wege für US-amerikanisches Kapital zum schwer zugänglichen japanischen Markt aufzutun. Jede Reise Carla Hills‘ nach Tokio ist von neuen Skandalmeldungen über Dumping-Angebote japanischer Firmen überschattet, in deren ebenso harten wie abgeschotteten Inlandswettbewerb ausländische Konkurrenten keine Chance haben. Die Firma Fuji bot einer Regierungspräfektur in Nordjapan unlängst die gesamte Informatikausstattung zum Nulltarif an, was sofort zu Beschwerden der US-Konkurrenten führte.

Doch Fuji beteuerte, daß sich das Nicht-Geschäft im japanischen Verdrängungswettbewerb für die Firma durchaus lohne. Als eine große US-amerikanische Baufirma im Dezember einen Teilauftrag beim Flughafenausbau in Tokio erwarb, brüstete sich die japanische Regierung sofort mit diesem US -Importerfolg. So geht es weiter im Hin und Her des täglichen Wirtschaftsgeschehens, ohne daß aber die angekündigten „strukturellen“ Veränderungen absehbar wären.

Jede Woche erwirtschaftete Japan 1988 eine Milliarde Dollar Handelsüberschuß mit den USA. Die Import-Export-Struktur zwischen beiden Ländern gleicht mehr denn je der zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Die USA liefern Rohstoffe und Agrarprodukte nach Japan. Umgekehrt schifft Japan fast ausschließlich technologisch hochwertige Produkte über den Pazifik. Im Zentrum der neueren Entwicklung dieses bereits seit einigen Jahren beobachteten Ungleichgewichts stehen nun die Folgen der Dollarabwertung gegenüber dem Yen. Mit ihr stiegen die Direktinvestitionen japanischer Unternehmen insbesondere in den USA rapide an. Ein Drittel aller Auslandsinvestitionen der Nachkriegszeit tätigten japanische Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren.

In den USA wurden zwischen 1985 und 1988 Immobilien im Wert von 38,7 Milliarden Dollar erstanden. Aber auch zwischen 30 und 40 Prozent der US-Staatsanleihen gingen in den vergangenen Jahren in die Hände japanischer Investoren. Für das Jahr 1989 schätzt man, daß sich die japanischen Direktinvestitionen in den USA noch einmal gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben. So entstand in den USA der Glaube, der Ausverkauf des eigenen Landes stünde bevor.

Nippons Wirtschaftslenkern gelang das Wunderwerk, die riesigen Mengen des neu im Ausland erwirtschafteten Geldes vom japanischen Verbrauchermarkt fernzuhalten, um damit einzig und allein die Land- und Aktienpreise in Japan in astronomische Höhen zu treiben. Der Gesamtwert von Nippons Land und Immobilien übertrifft heute um ein Vierfaches den in der USA. Jedenfalls gelang es der japanischen Wirtschaft damit, ihre phantastischen Gewinne den Arbeitern und Angestellten vorzuenthalten, um sie gleich wieder zur Ausdehnung des eigenen Einflusses im Ausland einzusetzen. So müßte die US-Regierung heute die Radikalität kompromißloser Gewerkschaftler besitzen, wollte sie tatsächlich an den strukturellen Festen des US-japanischen Handeslungleichgewichts rütteln.

Statt dessen ist absehbar, daß Washington immer weiter in protektionistische Gewässer gerät. Schon hat der „Japan -Revisionismus“ in den USA eingesetzt, diskutiert man Boykottaktionen gegen japanische Produkte, stehen die Zeichen auf Handelskrieg. Erinnerungen an die dreißiger Jahre werden auf beiden Seiten des Pazifiks wach, als sich die USA schon einmal des japanischen Warenansturms mit Einfuhrbeschränkungen erwehrte. Einmütig befürchten die Leitartikler in Tokios großen Tageszeitungen zum Jahrzehntbeginn, daß das Feindbild Japans in der westlichen Welt nunmehr das Feindbild der Sowjetunion ersetzen werde. „Unser Wohlstand wird jetzt davon abhängen, inwieweit sich die Nation als potentieller Störenfried der Weltwirtschaft zu einer stabilisierenden Kraft entwickelt“, warnt das Börsenblatt 'Nihon Keizai‘.

Der guten Appelle mangelt es nicht. Nur ist auch in Japan niemand in der Lage, die entscheidende Frage zu beantworten, welche politische oder wirtschaftliche Kraft bereitstehen könnte, den Produktionsprozeß umzupolen, hin zu größerer Verbraucherorientierung oder Mitbestimmung innerhalb Japans. Vielmehr werden diejenigen Stimmen lauter, die aus dem Wirtschaftserfolg des Landes die Überlegenheit der japanischen Rasse ableiten. Mit seinem Bestseller Das Japan, das nein sagen kann bleibt der rechtsradikale und nationalistische Regierungspolitiker Shintaro Ishihara in Nippon bisher der einzige, der kein schönfärberisches Bild der US-amerikanisch-japanischen Beziehungen mehr zeichnete. Die Entspannungspolitik zwischen den USA und Japan muß erst noch entworfen werden.

Teil 1 erschien in der taz vom 4.Januar 1990

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