: Offensive
■ Die DDR-Opposition berappelt sich
Seit Maueröffnung und deutsch-deutscher Vereinigungsfreude, seit zwei Monaten also, gerät der innere Prozeß der Überwindung der post-stalinistischen Strukturen in der DDR aus dem öffentlichen Blick und wohl auch ins Stocken. Die Opposition hat jetzt durch ihren Krach mit der Regierung am runden Tisch um die Entwaffnung der Stasi die Aufmerksamkeit wieder darauf gelenkt. Denn am Machtapparat, an den alten totalitären Strukturen hat sich seit Modrows Regierungsantritt wenig verändert - auch wenn sie im Moment stillgestellt sind. Grundsätzlich ändert das Auswechseln von Personen an der Spitze der Apparate an deren Strukturen nicht viel. Nach wie vor muß die Opposition Angst haben vor einer möglichen Umkehrbarkeit der demokratischen Revolution. Mit anderen Worten: Der Übergang zu einer wie auch immer im Detail sich entwickelnden Demokratie in der DDR ist bisher kaum abgesichert. Vor lauter Löchern in der Mauer wird dies leicht übersehen.
Generell stellt sich die Frage, ob nicht überhaupt erst nach der Wahl am 6. Mai die Demokratisierung in der DDR beginnen kann. Denn tatsächlich legitimiert sind im Moment weder Regierung noch Opposition. Während Modrow, die SED und die alten Blockparteien im Regierungsbündnis durch ihre Gespräche und Vertragsverhandlungen mit der Kohl-Regierung nicht nur ihre Legitimationsschwäche überspielen, sondern auch zu zeigen versuchen, daß sie erfolgreich regieren, ist die Opposition bisher kaum darüber hinausgekommen, hilflos den hektischen Aktivismus des Übergangskabinetts zumindest da abzuwehren, wo Entscheidungen gefällt werden, die die Entwicklung der Demokratisierung über die Wahl hinaus prägen könnten.
Das Ultimatum der Opposition am runden Tisch zur Entwaffnung der Stasi und die Ankündigung der sechs Oppositionsgruppen am 6.Mai als Wahlbündnis anzutreten, mit dem Ziel, die SED und die alten Blockparteien in die Opposition zu schicken, ist seit Wochen der erste offensive Schritt der demokratischen Bewegung, um die Lähmung zu überwinden, die ihr schneller politischer Erfolg auf der Straße im letzten Herbst hinterlassen hatte. Ganz nebenbei wird durch ein solches die Oppositionsparteien und -bewegungen übergreifendes Wahlbündnis die Verengung des Demokratisierungsprozesses auf politische Parteien zumindest verlangsamt.
Max Thomas Mehr
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