: Anklage gegen Noriega fraglich
Noriega von den amerikanischen Medien verurteilen zu lassen, sei eine Sache gewesen, ihn jetzt aber vor Gericht abzuurteilen, sei eine ganz andere, kommentierte ein anonymer Regierungsbeamter in Washington die Ankunft Noriegas in den USA. Die juristischen Probleme, die mit der unfreiwilligen „Ausreise“ des panamaischen Caudillo nach Miami jetzt auf die US-amerikanische Gerichtsbarkeit zukommen, sind in der Tat noch kaum zu übersehen. Die Bush -Administration hat mit der Festnahme Noriegas zwar das Ziel der militärischen Intervention in Panama erreicht. Viel größere Schwierigkeiten dürfte George Bush allerdings dabei haben, Noriega daheim vor eine Jury stellen und wie gewünscht zu einer Höchststrafe von 145 Jahren verdonnern zu lassen. Denn der legalistischen und prozeduralen Probleme gibt es viele.
Gerichte in Tampa und Miami hatten im Februar 1988 Anklage gegen Noriega erhoben. Dem Exgeneral wird darin in zwölf Punkten angelastet, vom kolumbianischen Medellinkartell 4,6 Mio. Dollar Honorar für die Absicherung von Rauschgiftlieferungen, für die Benutzung Panamas als Zwischenlager, für Geldwäscherei und technische Zusammenarbeit mit dem Kokainsyndikat kassiert zu haben. Außerdem wirft die Anklage Noriega die Gründung einer kriminellen Vereinigung zum Zwecke des Marihuana-Exports vor sowie das Anheuern des kubanischen Partei- und Staatschefs Fidel Castro als Vermittler in von ihm selbst nicht mehr wahrzunehmenden Drogengeschäften.
Was die von Noriega in europäischen Banken versteckten Dollars angeht, werden seine Verteidiger mit Sicherheit behaupten, bei dem Geld handle es sich um die Bezahlung des US-Geheimdienstes CIA, in dessen Sold der gestürzte Diktator in den 70er Jahren gestanden hatte. Zur Unterstützung dieser These werden Noriegas Anwälte die Herausgabe ganzer Berge von Geheimdienstdokumenten fordern, allein schon um die in dieser Beziehung äußerst geheimniskrämerische Bush -Administration in eine peinliche Situation zu bringen. Ob George Bush und der ihm recht treu ergebene Oberste Staatsanwalt Dick Thornburgh allerdings auch im Falle Noriegas soweit gehen werden wie in den Iran-Contra -Prozessen - wo die Weigerung der Herausgabe von CIA -Dokumenten gar zum Zusammenbruch der Anklage führen könnte
-ist dabei völlig offen. Ein Hindernis für die Ankläger wird auch die Tatsache darstellen, daß wichtige Belastungsdokumente und Indizien im Verlauf der militärischen Intervention von US-Soldaten unter juristisch fragwürdigen Methoden in Besitz der USA gebracht wurden. Die in den USA in letzter Zeit entfachte Noriega-Hetze läßt es ferner fraglich erscheinen, ob in den USA ein faires Verfahren gegen Noriega überhaupt noch möglich ist. Da niemand Geringeres als George Bush persönlich Noriega in der Vergangenheit in einem seiner politischen Rundumschläge öffentlich beschuldigt hatte, „die Kinder Amerikas und der Welt zu vergiften“, werden die Verteidiger recht überzeugend argumentieren können, daß in den USA kaum noch eine unbelastete Jury gefunden werden könne. Im britischen Rechtssystem würde diese Art der Vorverurteilung schon dazu ausreichen, die Anklage wegen „Mißachtung des Gerichts“ zum Einsturz zu bringen.
Berücksichtigt man zudem noch die juristische Nonchalance, mit der die US-Strafverfolgungsbehörden bisher den Fall Noriega behandelt haben, und die traditionell schludrige Zusammenarbeit zwischen den in die Anklage Noriegas verwickelten US-Behörden, dann dürften eine ganze Reihe bisher noch unbekannter prozeduraler Schwierigkeiten auftauchen, die eine Anklage Noriegas gefährden könnten. So vermuten denn auch Rechtsexperten, daß mindestens ein Jahr vergehen wird, bis geklärt ist, ob die Anklage Noriegas überhaupt Bestand haben wird.
Rolf Paasch
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