: Fatale Ball-Rutsch-Effekte
■ Eine wissenschaftliche Studie rehabilitiert Tennis-Rüpel vom Schlage John McEnroes
Berlin (taz) - Seit John McEnroe im Jahre 1977 als Siebzehnjähriger nach Wimbledon kam und sich ins Halbfinale rüpelte, wo ihm sein älterer Landsmann Jimmy Connors die Leviten las, ihn als Rotzjungen abkanzelte und ihm, als die Kraft des tobsüchtigen Newcomers nachließ, die Bälle nur so um die Ohren pfefferte, ist der Mann aus New York eigentlich immer derselbe geblieben. Nur sein einst prächtiger roter Haarschopf hat sich beträchtlich gelichtet. Schuld daran sind die Linienrichter.
„Out“ rufen sie dreist, wenn der große Mac den von ihm übers Netz beförderten Ball deutlich drin gesehen hat, und wenn die gegnerischen Bälle für McEnroes Begriffe weit jenseits der Linie aufklatschen, herrscht Grabesstille auf den Stühlen der Linienrichter.
Veitstänze, zerbrochene Schläger, ausgeraufte und wütend ausgefallene Haare (sic!) sind die Folge, McEnroe zürnt und poltert, das Publikum pfeift, die Schiedsrichter tun so, als ob sie das Ganze nichts anginge, und das Tragische an der Sache ist: McEnroe hat meistens recht!
Dies jedenfalls belegt eine Studie des Sportwissenschaftlers Gernot Jendrusch von der Ruhr -Universität Bochum. Der Ausball-Forscher hatte hochempfindliche Druckmeßstreifen auf einem Tennisplatz verlegt, die den wahrhaften Aufschlagpunkt des Balles anzeigten. Verschiedene Linienrichter, vom Tennis-Laien bis zum geübten Spieler, sollten ihrerseits beurteilen, ob der Ball gut oder aus war.
Das Ergebnis des Versuchs fiel genauso aus, wie es jeder Profi-Tennisspieler vorhergesagt hätte: sechzig bis achtzig Prozent der Bälle wurden falsch gesehen, wobei die Zuverlässigkeit der Linienrichter mit ihrer Tennis-Erfahrung wuchs. Logischerweise erhöhte sich die Fehlerquote mit der Geschwindigkeit der Bälle.
Verantwortlich für die hohe Zahl an Fehlentscheidungen ist laut Jendrusch der sogenannte „Ball-Rutsch-Effekt“. Wenn ein hart und flach geschlagener Ball den Boden berührt, rutscht er ein kleines Stück, bevor er wieder abspringt. Linienrichter nehmen das Bild des Balles aber erst dann wahr, wenn er wieder abhebt. Sie verpassen somit den wahren, entscheidenden Auftreffpunkt, der wenige Millisekunden und Millimeter bzw. Zentimeter vorher liegt.
Gefeit gegen diese kleine Sehstörung sind offenbar nur die Tennisspieler selbst, wobei es allerdings ein wenig erstaunt, daß diese immer die eigenen Bälle drin und die des Gegners draußen sehen. Wegweisend könnte hier eine weitere Erkenntnis des Bochumer Wissenschaftlers Jendrusch sein: Im Zweifelsfall ist der Ball meist innerhalb.
Matti
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