: Die Träume der alten Männer
Über die große Koalition in der Deutschlandpolitik ■ G A S T K O M M E N T A R
Über den „historischen“ Charakter der jetzigen deutsch -deutschen Lage kann kein Zweifel sein, selbst wenn der Begriff im Jahr 1989 so inflationär geworden ist wie die ihn begleitenden Handreichungen gewichtiger Herren. Als ein Unglück aber könnte sich eines Tages herausstellen, daß die bundesdeutsche Politik - rein personalmäßig gesehen - auf diesen außerordentlichen Fall gar nicht vorbereitet war. Ein wunderbares neues Stück feiert da Premiere auf der Weltbühne - nur die Besetzung stimmt nicht. Die Akteure sind aus einem ganz anderen Historienstück entliehen.
Da wäre zum Beispiel Helmut Kohl - ein begnadeter Machtpolitiker von einer gnadenlosen Präsenz. Nachdem er in seiner Partei alles einverleibt oder weggebissen hat, was Arbeits-, Ämter- und Aufgabenteilung garantiert hatte, erwischt ihn der große Augenblick gerade zu dem Moment, wo er der erste Wahltrommler seiner Partei ist - und nichts als das. Diplomatische Sensibilitäten, staatsmännische Weit- und Rücksichten, Fairneß gegenüber dem Koalitionspartner, Professionalität in internationalen Analysen - alles muß dahinter zurücktreten. Die Folgen sind bekannt: Die Wahlchancen der CDU steigen - die außenpolitische Irritation über die westdeutsche Politik wächst.
Die SPD kehrt zu ihren konservativen Anfängen zurück. Sie war, ist und wird bleiben die treueste der nationalgesinnten deutschen Großfamilien. In das machtpolitische Vakuum der entschiedenen Kanzlerkandidatur rückt immer mehr Willy Brandt vor. Mit dem sicheren Instinkt des Charismatikers mißt sich sein Wahlkampf im Gezeitenrhythmus. Was zusammengehört, muß zusammenwachsen, und so wird nun die neue Wirklichkeit - bieg dich oder ich brech dich! genötigt, sich gefälligst auf den Sozialdemokratismus zuzubewegen. Hätte irgendein konservativer Politiker die Rede Willy Brandts auf dem Berliner Parteitag gehalten, die politische Linke hätte seitenweise die Barrikade des 'FAZ' -Feuilletons gestürmt. Seltsames war da zu hören: In der Frage des deutschen Nationalstaates gilt sie doch , die Gnade der späten Geburt. Und reinreden - bitteschön - lassen wir uns da von niemandem. Schließlich geht es um die Verwirklichung eines alten, eines deutschen, eines sozialdemokratischen Traums.
Der ruft auch einen Träumer anderer Art auf den Plan: Rudolf Augstein. Der Tabubrecher und Jägerjournalist wird richtig radikal, er sagt, was man nicht sagen darf: in der 'Bild'-Zeitung. Und enthüllt damit als letztes Geheimnis dieser Republik den heimlichen gemeinsamen Nenner aller Giganten der westdeutschen Nachkriegsöffentlichkeit (von Strauß über Springer bis Augstein): Deutschland, einig Vaterland.
Die Herren meinen es gut mit uns. Sie haben schon so viel für uns getan. Sie haben eine freie Republik aufgebaut, eine kritische. Sie haben eine Opposition aufgebaut, eine regierungstaugliche. Nun wollen sie auch noch das letzte für uns tun. Sie wollen uns das einheitliche Deutschland wiedergeben, 45 Jahre nach Kriegsende und bestimmt nicht nationalistisch. Nein, ganz einfach menschlich. Für das glücklichste Volk der Welt, von den glücklichsten Politikern der Welt. Von Journalisten, die einmal nur Mensch sein wollen, am glücklichsten Tag ihres Lebens. Berlin, nun freue dich!! (Ist das ein Befehl?)
Die Gewaltenteilung in der westlichen Republik stimmt nicht mehr, wenn Regierung , Opposition und kritische Medien ein ununterscheidbares Rauschen anstimmen. Die Korrigierbarkeit politischer Entscheidungen, Grundprinzip aller Demokratie, und das Gespür für Gefahren geht verloren, wenn das ökologische Gegengewicht im nationalen Schwall versinkt.
Wenn nur der Traum der alten Männer nicht so dicht bei meinem Alptraum läge! Und als das Volk von Dresden so ganz von Herzen Deutschland! Deutschland! rief und dazu die funkelnagelneuen schwarz-rot-goldenen Fahnen mit den blitzend gold-schwarz gelackten Stangen (made in West -Germany) lustig schwenkte, da dachte ich bei soviel Glück ans Desertieren - und wußte nicht wohin.
Es gab nie einen Grund, die Politikergeneration der frühen Hunger- und Schwarzmarktjahre zu unterschätzen. Zäh ist sie und ungeheuer überlebenstüchtig und nie richtig satt zu kriegen. Der freundlichen Gerechtigkeit halber kann auch zugestanden werden, daß der Tag, als die Mauer fiel, wirklich ihr großer Tag war (auch wenn das Volk da ein wenig hinzutun durfte). Aber daß die neue Republik, die da durch die offenen Tore schimmert, genau die alte sein soll, daß sie die auch noch über den Leisten ihrer Träume schlagen und mit ihrer Duftmarke versehen - das ist zuviel.
Gehen Sie uns doch einmal aus der Sonne, meine Herren! Sosehr wir Ihre Verdienste und Lebensleistungen schätzen (und manchmal sogar bewundern), ein scharfer Generationenbruch ist in der Bundesrepublik jetzt ebenso unvermeidlich wie in der DDR. Die Demokratiebewegung dort hat nämlich nicht Erich Honecker und Hermann Axen aufs Altenteil geschickt, um nun am Geiste von Konrad Adenauer und Kurt Schumacher zu vergreisen. Die Menschen sind so frei, den ganzen alten Nationalplunder nur noch von skurrilem Reiz zu finden. Sie möchten bescheidene Republiken in Europa, die sich den Luxus leisten, nach allen Richtungen offen zu sein. Je mehr wir davon kriegen, um so besser. Und eins ist sicher: Die Tafelrunden, an denen wir sie gemeinsam planen werden, stehen nicht im Kyffhäuser - sondern im Kirschgarten.
Antje Vollmer
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