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Grüne Raupe im grauen Kokon der Gewöhnung

Zum zehnjährigen Geburtstag sehen sich die Grünen vielen Problemen gegenüber / In der Opposition blaß, leidet die Partei an personeller Auszehrung und Organisationsdefiziten / Bestimmt wird das Bild in der Öffentlichkeit von einer lustlosen Bundestagsfraktion / „Wir leben immer von den Fehlern der anderen“  ■  Von Gerd Nowakowski

Bonn (taz) - Zehn Jahre alt und keiner weiß, was es zu feiern gäbe: Am Anfang eines Jahres mit vier Landtagswahlen und der Bundestagswahl hätten die Grünen sich das Jubiläum anders gewünscht. Auch Funktionäre haben es aufgegeben, in Aufbruchstimmung zu machen. Zum Festakt in Bonn flüchtet man sich in hilflose Ironie. „Streit ist im Verein am schönsten“, heißt das Motto - als ob das noch irgendjemand hören könnte vom frühpubertierenden Geburtstagskind. Kann es ein Trost sein, daß die Perspektive vor wenigen Wochen noch grauer war?

Eigener Verdienst ist die Besserung allerdings nur zum geringeren Teil. Bewahrheitet hat sich vielmehr wieder, was Vorstandssprecherin Ruth Hammerbacher kürzlich in milder Resignation formulierte: „Wir leben immer von den Fehlern der anderen.“ Derzeit lebt man vom deutschlandpolitischen Einheitsbrei der anderen Parteien. Als praktikables politisches Konzept mit Bestandsgarantie aber ist das Warten auf die Fehltritte der anderen nahezu unerträglich; es beleuchtet eher den desolaten Zustand der Jubilarin.

Opposition mit leeren

Händen

Nach zehn Jahren wirkt die Partei wie früh vergreist: Die grüne Raupe hat sich eingesponnen in den grauen Kokon der Gewöhnung. Der Charme der frühen Jahre, als die ungelenken und frechen Parlamentarier die Republik beeindruckten, ist geschwunden. Die erfolgreichste parlamentarische Innovation der Nachkriegszeit, die Themen von Ökologie bis Feminismus auf die Tagesordnung der Republik setzte, steht heute als Oppositon mit fast leeren Händen da.

Die Mitgliederzahl ist rückläufig, junge Menschen zieht der einstige Hoffnungsträger nicht mehr an. Mag der selbstzerstörerische Flügelstreit auch nachgelassen haben für Eruptionen wie auf dem Saarbrücker Perspektivenkongreß Mitte November ist die Partei immer noch gut. Freilich wird dergleichen den Grünen längst nicht mehr als sympathische Lebendigkeit angerechnet, sondern höchstens als Leistung gewertet, daß die Partei diesen zehnjährigen Schmerzensprozeß überhaupt überlebt hat. Nur Parteioptimisten gehen derzeit Wetten ein, daß die Grünen auch im nächsten Bundestag noch vertreten sind. (Die Mitarbeiter der Fraktion verhandeln gar vorsorglich über einen Sozialplan.)

Vom Personal der Partei, die mit 38.000 weniger Mitglieder hat als die FDP, geht wenig Glanz aus. Die große Zahl von Mandaten auf allen parlamentarischen Ebenen - in Hessen sind 80 Prozent aller Mitglieder Mandatsträger - und das kräftezehrende Parteileben haben viele Mitglieder verschlissen ins Privatleben entlassen. In etlichen Bundesländern und selbst in Berlin sind in den unteren parlamentarischen Ebenen die Mandate kaum noch qualifiziert zu besetzen - die Rotation hat sich auf kommunaler Ebene eh längst erledigt. Eine effektive Organisation, die den verlorenen Anfangselan auffangen könnte, hat die Partei nicht geschaffen.

Die Basis hat sich mit einer schizophrenen Perfektion selbst ein Bein gestellt, als sie dafür sorgte, daß die Parteizentrale in Abwehr ungewünschter Machtballung nahezu arbeitsunfähig dünn ausgestattet ist. Dadurch sind Vorständler ausschließlich auf ihre eigene Arbeitskraft angewiesen - vom Briefeschreiben bis hin zur Durchführung politischer Kampagnen. Und: es gibt keine Partei, die ihre einfachen Mitglieder vor Ort so vernachlässigt und allein läßt wie die Grünen.

Lustlose

Bundestagsfraktion

Bestimmt wird das Bild der Grünen in der Öffentlichkeit deshalb nicht vom Vorstand, sondern vor allem von der Bundestagsfraktion. Die produziert viel Papier und mehr parlamentarische Anfragen als die anderen Parteien, doch das Außenbild bleibt trotzdem oder deswegen diffus - ungeachtet auch einer letztjährlichen Flut von mehr als tausend Presseerklärungen.

Nur wenigen der 43 Abgeordneten der jetzigen Fraktion ist es gelungen, aus der Anonymität herauszukommen; viele sind selbst nach Meinung der Mitfraktionäre bei der Organisation ihres Bereichs und als Politiker überfordert. Zugleich wird deutlich, daß die Grünen im verfehlten Anspruch, alle Themen abdeckende Volkspartei zu sein, Gefahr laufen, sich den Hals zu brechen. JedeR Abgeordnete beharrt auf der Wichtigkeit seines Themas. Versuche des Fraktionsvorstands, Themen und Kräfte zu bündeln, scheitern daran regelmäßig. Es gibt wenig Chancen, daß sich das Bild noch ändert: Einige jener, die nicht mehr aufgestellt werden, verlieren bereits jetzt die Lust an harter Arbeit; die anderen machen lieber Wahlkampf im Landesverband.

Das Verhalten der Abgeordneten kommt nicht von ungefähr. Die Grünen verstehen sich immer noch in weiten Bereichen als Auftragnehmer der Bewegungen, nicht als Wählerpartei. Dort, wo die Grünen an der Macht teilhaben, ob auf Landesebene wie in Berlin oder auf kommunaler Ebene, reduziert sich Politik oft auf die Erfüllung der Klientelwünsche. Über die Abarbeitung der Arbeitsaufträge der diversen Bürgerinitiativen und Interessengruppen koppeln sich die Grünen von der Bevölkerung ab und verschanzen sich in den Rathäusern.

So wird die Partei politikunfähig, derweil die Macher noch glauben, sie verfügten über die besseren Konzepte. Visionen werden verordnet, nicht vorgelebt, das Gespräch mit der Bevölkerung auf der Straße wird nicht gesucht. Das gilt für die multikulturelle Gesellschaft ebenso wie für den Kampf gegen rechtsradikale Tendenzen. Daß in den Trabantenstädten, wo die braune Ideologie auf fruchtbaren Boden fällt, die bislang nicht präsenten Grünen für eine Gegenkultur sorgen müßten, wurde allgemein als richtig anerkannt. Es blieb beim Problemaufriß.

Das hat Folgen. Von der langanhaltenden Krise der Bundesregierung im vergangenen Jahr haben die Grünen nicht profitieren können. Man blieb untätiger Zaungast und vertraute darauf, die rot-grünen Ministersessel würden schon irgendwo auf einen zukommen. Der Weggang des kritisierenden und herrschsüchtigen Otto Schily zur SPD wurde als elegante Konfliktbereinigung mit Erleichterung aufgenommen; wo das liberale Wählerpotential bleibt, das Schily an die Partei band, interessierte kaum. Manchmal scheint es, als habe sich die Partei schon selbst aufgegeben. Selbst die Ablösung mehrerer rot-grüner Bündnisse bei den nordrhein -westfälischen Kommunalwahlen im letzten Herbst war der Partei nicht einmal eine gründliche Auswertung wert. Inmitten eines dramatischen Wandels in Europa sind die Grünen zu einer konservativen Partei der Bundesrepublik geworden. Die Grünen sehen vor allem die Gefahren, tun sich hervor mit Warnungen: vor einem wiedererstarkten deutschen Nationalismus und des Rechtsradikalismus, vor der Zerschlagung des Sozialismus, vor der Gefährdung der europäischen Stabilität, vor der Expansion des beutegierigen Kapitals.

Anklagender

Konservativismus

In allem ist etwas Richtiges, aber kann das genügen in einer Zeit, wo es politischen Gestaltungsraum gibt, wie seit Kriegsende nicht? Ansätze für eine Änderung entwickeln sich nur zögernd, aber immerhin. Die Grünen haben sich - auch wenn es zwei Monate dauerte - zu einer handlungsfähigen Position zur Deutschlandpolitik zusammengerauft und setzen auf Konföderation und Entmilitarisierung. Anderes, wie ein positives Konzept Europas ohne Konzerne und Grenzen, fehlt noch. Auf die Nato zu setzen, um den als bedrohlich empfundenen nationalen Taumel zu bändigen, wie es Teile der Realos tun, aber hat ebenso wenig Sinn, wie Loblieder auf den Kapitalismus zu singen oder moderat am Verteidigungshaushalt herumzuschnippeln.

Auch in Fragen der Ökologie kann es nicht ausreichen zu beklagen, die anderen Parteien hätten die Ideen geklaut. Was hindert die Grünen daran, endlich ein umfassendes Konzept eines ökologischen Umbaus vorzulegen, der wirklich alle Lebensbereiche miteinschließt und auch von denen bezahlt werden kann, die kein Akademikergehalt beziehen? Ganz von selbst wären die sozialen Fragen eingebunden, wenn entworfen wird, wie eine alleinerziehende, berufstätige und geringverdienende Mutter ressourcenschonend und kinderfreundlich in der Bundesrepublik leben kann, wie die Arbeitsplätze und der öffentliche Verkehr organisiert sein müßten, um dieses Ziel zu verwirklichen.

Liegt also derzeit die Hoffnung allein darin, daß es genug zu tun gäbe für die Partei, daß sie sich nicht überlebt hat? Schließlich hat sich keines der Themen erledigt, mit denen sie vor zehn Jahren angetreten ist - vor allem auf ökologischem Gebiet sind die Probleme noch drängender geworden. Möglicherweise ist es geradezu hilfreich, daß die Träume vom Regierungsbündnis mit der SPD geplatzt sind, welches die Organisation im gegenwärtigen Zustand der persönlichen und strukturellen Krise kaum einige Monate überdauern würde. Statt Wahlarithmetik zu betreiben oder persönlichen Ämterwünschen nachzuhängen, kann man sich wieder auf eine effektive Oppositionsarbeit konzentrieren.

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