: Logen- und Kojengeflüster
■ Rund um die Steilkurve: Beim 26. Bremer Sechs-Nächte-Rennen ist alles getürkt
Aber die Glocke ist echt. Echt!
Stadthallenchef Heinz Seesing war gestern morgen der Frühstücksappetit schnell verleidet. Ein erster Blick in die Sonntagszeitung hatte ihm die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Schrieb da doch die Hauspostille von Konzertveranstalter Klaus-Peter Schulenberg von „getürkten“ Besucherzahlen beim diesjährigen Sechs-Tage-Rennen und einer angekündigten „Herausforderung“ des Häuptlings von der Bürgerweide durch den amtierenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Claus Dittbrenner. Der
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hatte sich in der ersten langen Nacht der Six-Days bei Bier und bester Laune in Loge B 43 bis halb vier sehen lassen und dabei in die Runde posaunt: „Ich lasse mir die Zahl der verkauften Karten geben.“ Und weil B 43 dem Weser-Report und seinen illustren Gästen vorbehalten ist, stand der Satz prompt in der Zeitung. Anspielung auf immer neue Zuschauerrekorde, die die Stadthalle vermeldet, angesichts ausgedünnter Ränge.
Heinz Seesing mochte gestern mittag dem SPD-Fraktionschef beim kurzen Gespräch im Innenraum eine solche Äußerung gar nicht zutrauen: „Dittbrenner ist ein so qualifizierter Politiker, der wird so eine Aussage nie gemacht haben.“ Dennoch berief Seesing am Morgen eine kurze Krisensitzung ein. Mit dem sportlichen Leiter des Sechs-Tage-Rennens Patrick Sercu und Lokalmatador Andy Kappes ging er die Vorwürfe im einzelnen durch. Der braungebrannte Radstar, der mit seinem belgischen Partner Etienne de Wilde nach dem traditionellen „Sonntag-Frühschoppen“ die Führung beim 26. Bremer Sechs-Tage-Rennen übernahm, mußte dabei einiges klarstellen. Hatte er doch in einer eigenen Kolumne im Weser -Report handfeste Kritik am sportlichen Wert der Veranstaltung und am Zustand von Halle und Bahn geäußert. Alles getürkt, gab Kappes zu Protokoll und berichtete, daß ihn am Samstag WR-Reporter in seiner Fahrerkoje aufgesucht und nach Muskeln, Liebe, Prämien und Konkurrenz befragt hätten. Von seinen gewohnt harmlosen Antworten sei in der Kolumne, die zwar Kappes Bild und Unterschrift trägt, von ihm aber weder verfaßt noch vor Drucklegung gesehen wurde, nichts mehr enthalten.
Auch Patrick Sercu fand zwischen Derny-Rennen und dem Sprinter-Finale kernige Worte für die Berichterstattung. „Alles Blödsinn“, sagte der Bahnchef, „die tun so, als ob die Six-Days pleite sind, bloß weil am ersten Tag irgendwo eine Schraube locker saß.“ Weder sei die Bahn zu glatt (Was im übrigen auch Sprint-Ex-Weltmeister Michael Hübner aus der DDR bestätigte) noch sei das Fahrerfeld schlechter besetzt als in den Vorjahren. Sercu, der auch im nächsten Jahr die sportlichen Fäden wieder in der Hand halten wird, und sich gestern mit seinem alten Sechs-Tage-Partner Eddy Merckx so oft die Zeit es zuließ ins Fahrerlager zurückzog, vermutete ganz andere Gründe für die „lächerliche“ Kritik.
Seesing wurde da deutlicher. „Wir sollen zwischen zwei Mühlsteinen zermahlen werden“, interpretierte er die Attacken des Weser-Reports. Weil der Kurier am Sonntag (Verleger Herbert C. Ordemann) Sponsor des Sechs-Tage -Rennens sei, habe Konkurrent Schulenberg, dessen Blatt sich auf das Sponsoring von Miß-Bremen-Wahlen kapriziert hat, zum Halali auf die Veranstaltung geblasen.
Doch so schnell wird auch Seesing selber nicht aus der Schußlinie kommen. Am gestrigen Nachmittag bestätigte Claus Dittbrenner mürrisch („Ich habe kein Interesse, daß das weiter kommentiert wird“), daß er den zitierten Satz auch wirklich so gemeint habe. Zwar denke er nicht an „getürkte“ Zahlen, aber aufschlußreich sei es doch allemal, die Zahlen der verkauften Karten zu vergleichen. Besorgen wolle er sich die in der „Funktion eines interessierten Bürgers, der zufällig auch SPD-Fraktionsvorsitzender ist“. Welcher Platzhirsch nun am Ende gehörnt die Arena verläßt, ist damit noch
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längst nicht ausgemacht. Denn wie sagte doch Stadthallen -Geschäftsführer Heinz Seesing: „Nur der Aufsichtsrat kann die Zahlen zur Einsicht verlangen und ob ich ihm die dann gebe, ist noch eine andere Frage. Die Position der Geschäftsführung wird oft unterschätzt.“
tazzan
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