: Swinging Metropolis
■ 57. Fleisch
Grad mal fünf Monate läuft die Revue „Von A bis Z“, ein Klacks gegen Kleins vorherige Erfolge mit Rekordspieldauern bis zu einem Jahr, en suite, sieben Tage in der Woche. 1926, während der Vorbereitungen zu „Berlin ohne Hemd“ ist das „Konzessionsentziehungsverfahren“ bereits in vollem Gange. Der Titelsong klingt auch wie ein Schwanengesang auf die eigene Situation: „Die Leute sind pleite / Und die Geschäfte ruhn, / Der Gerichtsvollzieher hat jetzt alle Hände voll zu tun, / Ganz zuletzt dann versetzt man / Die Hose und den Rock. Man fährt nicht mehr nach Monte, / Wer das konnte / Und sich sonnte / Wer in einer Villa wohnte / Hockt heut im vierten Stock. / Und wer einst hat geschlemmt, / Hat heut nicht mehr ein Hemd.“
Zum Schaden spottet Der Junggeselle: „James Klein spielt immer noch Direktor.“ Damit ist es aus nach dieser Inszenierung; dennoch läßt sich der zähe Brocken mit den „Wotansallüren“ (Leo Slezak) nicht unterkriegen, noch nicht. Irgendwie muß da irgendwas gemauschelt worden sein, denn nach einem kurzen Provisorium läßt der neue Leiter Marco Großkopf Kollegen Klein weiterwursteln - bis zum bitteren Ende. In zwei Jahren werden zehn Revuen über die Bühne der Komischen Oper gejagt, eine komischer als die andere, mit Laufzeiten von bisweilen nur vier Wochen. Und weil keine Knete mehr zur Verfügung steht, versucht Klein, mit plumpem Etikettenschwindel den alten Prunk zu imitieren. Zur drastisch verringerten Ausstattung schreibt die Vossische Zeitung recht drastisch: „Was an Requisiten aus den alten Revuen noch nicht verpfändet ist, wird eingebaut. Der schöne Federfächer ist noch da, ein Hafenprospekt, die Wein-Kostüme und - die Schenkel und Brüste und Bäuche der Choristinnen.“
Und auf die setzt er mehr denn je. Die Programmhefte gleichen Herrenmagazinen, Handzettel mit Nacktfotos werden verteilt, und ein reißerischer Agonieschrei tönt aus Richtung Weidendamm: „Viel, sehr viel Fleisch!“ Darüber hinaus vernimmt der Ex-Direktor Schlager und ganze Szenen aus vorangegangenen Spektakeln, schießt den Vogel vollends ab mit identischen Revuen, die hintereinander mit lediglich verschiedenen Titeln abrollen - was heut so manchen Chronisten verwirrt. Die Schnapsidee par excellence aber ist bereits neulich erwähnte Nummer mit dem Frauenrock. Das Drunter ward suggeriert, in Wahrheit präsentiert Hanna Gorina ein Mega-Kostüm mit schätzungsweise zwanzig Metern Umfang und ebensolcher Rocklänge. „Die Schauspielerin konnte damit weder tanzen, gehen noch sonstige raumgreifende Bewegungen ausführen. Sie stand unbeweglich auf einem Podest (um die Rocklänge sichtbar zu machen) und wartete, bis man sie wieder von der Bühne trug. Die Wirkung dieser Szene bestand in dem Mißverhältnis zwischen der Größe des Rockes und der im Kostüm befindlichen Frau, verbunden mit dem Effekt, der aus der Materialverschwendung erwachsen sein mag. 'Wozu diese umständlichen und geschmacklosen Szenenaufbauten (...), wenn Aufstellung und Wegschaffung Viertelstunden verlangen‘, kritisierte Ihering zu Recht. Solche Pausen in der Nummernfolge vertrug das Variete, doch keine Revue, die vom Rhythmus und der Schnelligkeit der Bildwechsel lebte. Das vernichtende Urteil, das die Kritiker über Kleins Produktionen fällten, begründete sich wesentlich mit diesem Varietestil der Inszenierungen.“ (Wolfgang Jansen)
Im April 1929 ist endgültig Sense. „Von Bettchen zu Bettchen“ heißt des Verzweiflungsregisseurs letzter Streich. Auf welche Lagerstatt er sich anschließend zurückzieht, weiß keiner. Im Handbuch der deutschsprachigen Emigranten taucht er dann noch einmal auf. Danach soll er am 30. Januar 1933 nach Paris geflüchtet sein. Zehn Jahre später wird er in Nizza von der Gestapo verhaftet und im November 1943 nach Auschwitz deportiert...
Erfreulicheres zur Konkurrenz: in den zwanziger Jahren gibt es einen Bildhauer namens Hermann Haller. Der darf sich da und dort mal ärgern, nämlich immer dann, wenn ihn die Nachbarn auf seine neue Revue ansprechen. Damit er nun endlich Ruhe hat, wollen wir den häufigen Fehler vermeiden und von Haller, dem Theaterdirektor mit dem englischen Vornamen, sprechen, dem Herman mit einem n. (Hatte nicht kürzlich Reutter das gleiche Problem mit Reuter?) Bis wir uns nun also zum Admiralspalast und ins Theater am Nollendorfplatz begeben, bittet der Autor dieser Zeilen, nicht mit dem Fernsehproduzenten Tafelski verwechselt zu werden.
Norbert Tefelski
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