Flotter Abgang

Manfred Ewald, für Jahrzehnte mächtigster Mann im Sport der DDR, ging am Samstag sang- und klanglos auf Rente  ■  P R E S S - S C H L A G

So ähnlich hätte es vor einigen Wochen noch im 'Neuen Deutschland‘ stehen können:

„Aus gesundheitlichen Gründen legte am Samstag Genosse Manfred Ewald sein Amt als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) der DDR nieder. Sein einstimmig gewählter Nachfolger, Dr. Günther Heinze, würdigte die hervorragenden Verdienste des zweifachen Trägers des Karl -Marx-Ordens, Träger des Großen Sterns der Völkerfreundschaft, der Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold und 'Held der Arbeit‘ um den Sport in unserer Republik.

Gut vierzig Jahre hat Manfred Ewald, Mitglied des ZK der SED, Abgeordneter der Volkskammer und 1. stellv. Vorsitzender des Jugendausschusses der Volkskammer, die Geschicke unseres Sports entscheidend geprägt. Bereits 1948 war er Sekretär des Deutschen Sportausschusses, von 1955 an Staatssekretär als Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Köperkultur und Sport in der DDR.

1957 hatte Genosse Ewald die Parteihochschule 'Karl Marx‘ beim ZK der SED absolviert, wenig später erwarb er ein Sportlehrerdiplom. Dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB), der Dachorganisation aller sozialistischen Sportverbände, stand er seit 1961 vor, und von 1973 belastete er seine schöpferische Kraft zusätzlich als Präsident des NOK der DDR.

Unter der Führung von Manfred Ewald wurden bei Olympischen Spielen und internationalen Meisterschaften zahllose Madaillen errungen, erreichte unser Sport Weltniveau. Zuletzt, bei den Spielen in Seoul, belegte die DDR hinter der ruhmreichen Sowjetunion in der Nationenpunktwertung den zweiten Platz. Zum Abschied wurde dem Genossen Ewald die Ehrenmitgliedschaft des NOK verliehen, morgen wird ihn Erich Honecker in einer Feierstunde der Volkskammer ehren, bei der zahlreiche Meister von gestern anwesend sein werden.“

Nichts von alledem wird sein. Die einstmals Mächtigen in der DDR verabschieden sich auf unspektakuläre Art, Manfred Ewald (61) ebenso wie sein politisches Pendant Erich Honecker. Als am Samstag abend vom NOK der DDR ein zweiseitiges Kommunique verlesen wurde, fand sich Ewald gerade noch in einem lapidaren Satz wieder: „Zu Beginn der Beratungen erklärte Manfred Ewald seinen Rücktritt als Präsident und Mitglied des NOK.“ Schon Stunden vorher hatte der die Sporthochschule des DTSB an der Grünauer Regattastrecke verlassen, wo sich 32 von 43 Mitgliedern des NOK trafen, und war alleine verschwunden.

Überraschend kam dieser sang- und klanglose Abgang nicht. Bereits zuvor hatte Pressechef Volker Kluge angekündigt, es würden „große Kaderprobleme gewälzt“ werden müssen, weshalb erstmals in der Geschichte die Türen bei der Sitzung verschlossen blieben. Ewald war der Macher des DDR-Sports, und wo jahrelang der Erfolg gefeiert wurde, werden jetzt die passiven Seiten aufgerechnet: Diskriminierung vieler Sportarten, Vernachlässigung des Breiten- und Freizeitsports, feudalistischer Führungsstil.

Die Kritik blieb diplomatisch versteckt, zu verstehen war sie trotzdem. „Formalismus hat sich eingeschlichen“, beklagte Nachfolger Heinze auf der Pressekonferenz, künftig sollten die „Mitglieder demokratisch einbezogen werden“. Gefragt wurden die bislang kaum, ganze einmal im Jahr traf sich das NOK, um anzuhören, was die Clique um Ewald entschieden hatte. Jetzt müht man sich erst einmal mit einer „Neufassung des Statuts“. Allzuviel Zeit bleibt nicht. Neuwahlen der Verbände stehen an, auch die Führung des DTSB wird neu gesucht werden müssen, nachdem sie vor Wochen geschlossen zurücktrat.

Wo's langgeht, kann auch von den neuen Köpfen keiner wissen. Geld fehlt, der Staatshaushalt ist noch nicht verabschiedet, Betriebe und Staatsorgane können oder wollen den Hochleistungssport nicht länger finanzieren. Und die bisher gedeckelten Verbände melden sich mit ihren Ansprüchen.

Auch Heinze, einziges IOC-Mitglied der DDR, wird bei der Neustrukturierung des Sports nicht mehr dabei sein. Im Juni, wenn der Präsident turnusmäßig gewählt wird, will er nicht mehr. Fraglich, ob er überhaupt noch dürfte.

Thömmes