: „Die Spaltung des Neuen Forums ist nicht mehr zu verhindern“
Bernd Kunzmann, Delegierter des Bezirks Dresden und Mitglied der Programmkommission, vertrat auf der Landesdelegiertenkonferenz am Wochenende die Gründung einer Partei ■ I N T E R V I E W
taz: Die Landesdelegiertenkonferenz des Neuen Forums hat die Gründung einer Partei abgelehnt. Können Sie mit diesem Beschluß leben?
Kunzmann: Es wird für mich schwierig sein, im Neuen Forum weiterzuarbeiten, denn die Gründe, die uns dazu bewogen haben, für die Konstituierung einer Partei einzutreten, sind ja jetzt nicht hinfällig geworden. Eine politische Vereinigung, die landesweit Mandate in den Parlamenten anstrebt, muß mit einem Programm zu den wichtigsten gesellschaftlichen Problemen antreten. Schon allein die Erarbeitung eines solchen Programms erfordert eine Organisationsform, die der einer Partei entspricht.
Glauben Sie nicht, daß auch das Neue Forum als politische Vereinigung in der Lage ist, bis zu den Wahlen am 6. Mai dieses Jahres ein tragfähiges Programm zu erstellen?
Wenn das Forum so weiter arbeitet wie bisher, wird es sich bestenfalls auf einen Minimalkonsens einigen, auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen politischen Überzeugungen. Das wird kein Programm sein, mit dem man in den Wahlkampf gehen kann, um breite Wählerunterstützung zu gewinnen.
Wäre es denn Ihrer Meinung nach besser gewesen, zu diesem Zeitpunkt ein fertiges Programm von oben zu dekretieren?
Das Problem besteht darin, daß unter dem Motto „Basisdemokratie“ widersprüchliche inhaltliche Optionen aufgearbeitet und vertreten werden. So passiert es, daß wir in einer Zeit, in der wesentliche politische Entscheidungen gefällt werden, nicht handlungsfähig sind. Meiner Meinung nach müßte angesichts des enormen Zeitdrucks Programmarbeit in gewählten Kommissionen geleistet werden, deren Ergebnis dann der Delegiertenkonferenz zur Abstimmung vorgelegt wird. Eine andere Verfahrensweise ist politisch nicht praktikabel.
Aber findet das nicht genau statt? Es gibt die Programm und Statutenkommission, die hier ihre Ergebnisse vorlegen, über die - mit gewissen Modifikationen - abgestimmt wird?
Es gibt diese Kommission. Allerdings drückt sich darin ja schon eine Verletzung des immer so groß herausgestellten basisdemokratischen Prinzips aus. Die praktische Politik erfordert jetzt schon, daß man dieses Prinzip verläßt. Aber zugleich bedeutet das Festhalten an der Organisation als Bürgerinititative die Illusion, man könne durchgängig basisdemokratisch arbeiten. Das ist eine Illusion, mit der ich nicht mehr leben möchte.
Gut, vielleicht wird die Illusion der Basisdemokratie im Neuen Forum weitergepflegt. Aber wo liegt der praktische Unterschied zur Partei, wenn die eigentliche, inhaltliche Arbeit auch jetzt schon in kleinen Zirkeln gemacht wird, um dann im wesentlichen von den Delegierten nur abgesegnet zu werden?
Ich habe ja meine Erfahrungen in dieser Kommission, und ich denke, daß sie in der jetzigen Form nicht arbeitsfähig ist. Das Ergebnis, das jetzt vorliegt, ist so verschwommen, daß es von der Versammlung hier zwar angenommen wird; ich glaube aber nicht, daß es geeignet ist, die breite Sympathie der Wähler zu gewinnen.
Verbirgt sich denn hinter der Frage Partei oder Bewegung auch ein Konflikt um unterschiedliche politische Ziele?
Das glaube ich schon. Die gemeinsame Klammer, unter der die Sympathisanten des Neuen Forums zusammengekommen sind, war, daß sie mit dem etablierten politischen System nicht einverstanden waren und ein aktives Handlungsbedürfnis verspürt haben, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu verändern. Diese Klammer ist nach den ersten Erfolgen so nicht mehr gegeben. Jetzt kommen die politischen Meinungsunterschiede offen zum Ausdruck. Nach meinem Eindruck ist es so, daß die starke Strömung, die sich für die Bürgerinitiative einsetzt, noch immer nach einem dritten Weg sucht zwischen dem bisherigen Sozialismus und dem kapitalistischen System. Ich will ein neues Experiment mit unserer Gesellschaft. Diejenigen, die sich für eine Partei aussprechen, sind aber der Meinung, daß man ein solches Experiment den Wählern nach 40 Jahren DDR-Gesellschaft nicht mehr zumuten kann.
Läuft diese Position auf den Wunsch nach einer schnellen Vereinigung der beiden deutschen Staaten hinaus?
Nicht unbedingt. Die Meinung, daß der Ausweg aus der politischen und wirtschaftlichen Krise unseres Landes der Weg der nationalen Einigung sein wird, ist in der Bevölkerung natürlich weit verbreitet. Aber es gibt auch innerhalb derjenigen Strömung, die eine Partei wünscht, unterschiedliche Auffassungen über das Tempo und die Reihenfolge der einzelnen Schritte in diesem Prozeß.
Mittlerweile gibt es ja schon Gründungen von Parteien im Neuen Forum, etwa in Karl-Marx-Stadt und in Thüringen, die nicht von der Gesamtorganisation legitimiert sind und die dem Beschluß der Delegiertenkonferenz widersprechen. Das scheinen Ansätze mit ausgesprochen nationalistischer Tendenz?
Nationalistisch würde ich nicht sagen. Die „Neue-Forum -Partei“ in Karl-Marx-Stadt kenne ich zuwenig, um das beurteilen zu können. Die Forum-Partei in Thüringen ist in der Tat eine Bewegung, die die Lösung der Probleme für das Land Thüringen auf dem Weg der Wiedervereinigung und in enge Anlehnung an den Freistaat Bayern sucht.
Wieviele Mitglieder unterstützen Ihrer Meinung nach die Forderung nach einer Parteigründung im Rahmen des Neuen Forums?
In Dresden gab es eine Mehrheit von bis zu 70 Prozent. Auch in der Bezirksdelegiertenkonferenz zur Vorbereitung des Landstreffens gab es eine Mehrheit. Wie es in anderen Teilen des Landes aussieht, kann ich nicht sagen.
Bedeutet der jetzt gefaßte Beschluß die Spaltung des Neuen Forums?
Ich denke, daß die Spaltung, die ja schon begonnen hat, nicht zu verhindern ist. Und daß diejenigen, die bereits mit der Gründung von Parteien begonnen haben, zur Landesdelegiertenkonferenz erst gar nicht mehr angereist sind. Deshalb ist an diesem Wochenende hier in Leipzig die Position für die Gründung einer Partei nicht in der Stärke zum Ausdruck gekommen, wie es ihrer Verbreitung unter den Mitgliedern des Forums eigentlich entspricht.
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