: BRD-Politprominenz warnt die SED
Zahlreiche Bonner Politiker haben am Wochenende verdeutlicht, daß die Entwicklungen in der DDR nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Der deutschlandpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans Büchler, meinte, es gelte jetzt, ein deutliches Warnsignal an die SED zu geben, die den Druck auf die Reformgruppen verschärfe und ihnen an der Basis praktisch alle Entfaltungsmöglichkeiten nehme. Der 'Osnabrücker Zeitung‘ sagte er, Bundeskanzler Helmut Kohl sollte die für Anfang Februar geplanten Verhandlungen mit DDR-Regierungschef Hans Modrow platzen lassen, wenn der Opposition bis dahin nicht Chancengleichheit zugesichert werde. Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger sagte derselben Zeitung, bisher könne von Gleichheit und Freiheit für die Wahl nicht die Rede sein. Den Oppositionsgruppen fehle es an fast allen materiellen Voraussetzungen, während die SED Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen sicher in der Hand habe.
Verschiedene Politiker der FDP äußerten sich hierzu auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart. FDP-Chef Lambsdorff kritisierte die Einladung von Bundeskanzler Kohl an Modrow nach Bonn. Wirtschaftsminister Haussmann monierte, daß die SED nicht einhalte, was sie im alten Jahr versprochen habe. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Mischnick wies im Südwestfunk auch darauf hin, daß es nicht gelungen sei, Kommunalwahlen vor den Volkskammerwahlen durchzuführen. Aus diesem Grunde fehle es bedauerlicherweise an klaren politischen Strukturen im kommunalen Bereich und auch an genügend Menschen, die überhaupt zu einer Kandidatur für die Volkskammer-Wahlen bereit seien.
Regierungssprecher Schäfer machte vor der Presse in Bonn deutlich, daß die beim Treffen der Regierungschefs der beiden Staaten in Dresden vereinbarte Zusammenarbeit unter dem „Vorbehalt“ stehe, daß am 6. Mai freie Wahlen stattfänden und Chancengleichheit zwischen den Parteien herrsche. „Diese Chancengleichheit gibt es derzeit nach unseren Beobachtungen nicht.“ Sollte sich der Zustand nicht bald ändern, werde dies Thema des nächsten Treffens zwischen Kohl und Modrow sein.
Der SPD-Deutschland-Experte Gansel sagte gegenüber 'dpa‘, zwar müßten alle praktischen Hilfsmaßnahmen, die der Bevölkerung in der DDR zukämen, jetzt anlaufen, aber sie müßten von Beauftragten der Bundesregierung und nicht auf Minister- und Kanzlerebene ausgehandelt werden.
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Meyen, wies im Saarländischen Rundfunk darauf hin, die SED besitze derzeit mit ihrer großen Infrstruktur im Informationswesen der DDR einen „gewaltigen Vorteil“, der die Oppositionsparteien im Hinblick auf die Wahl „hoffnungslos im Hintergrund lasse“. Konrad Weiss von Demokratie Jetzt hatte sich wegen ungenügender Chancengleichheit in einem offenen Brief am letzten Freitag an Bundeskanzler Kohl gewandt. Die DDR-Partei Demokratischer Aufbruch sprach davon, die SED-PDS baue ihre Stellung vor allem in den Medien wieder aus und wolle ihre verlorene Führungsrolle wieder zurückerobern.
taz
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