: Admiral Schmähling auf SED-Abrüstungskurs
Der Bundeswehr-Spitzenmann hält die Vorschläge aus Ostberlin für realistisch / Bundeswehr kann sofort von 490.000 auf 250.000 Mann reduziert werden / Absage an Jäger '90 und an weitere Modernisierungsschübe / Diskussionsveranstaltung über Abrüstung in West-Berlin ■ Von Jürgen Gottschlich
Berlin (taz) - Nach Ansicht von Bundeswehr-Admiral Elmar Schmähling ist der von SED-Chef Gregor Gysi vorgeschlagene deutsch-deutsche Abrüstungsplan realistisch und zum Teil auch sofort umsetzbar. Gysi hatte am Samstag eine Initiative seiner Partei vorgelegt, die vier Punkte umfaßt:
-Halbierung der Truppenstärke der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr.
-Reduzierung des Wehrdienstes auf 12 Monate auf beiden Seiten.
-Rückzug aller fremden Truppen bis spätestens 1990.
-sofortiger Modernisierungsstopp für alle Waffensysteme.
Schmähling, der sich im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung „Was wird aus Bundeswehr und Nationaler Volksarmee“ am Samstag in Berlin zu diesen Vorschlägen äußerte, unterstützte vor allem eine sofortige drastische Truppenreduzierung auf beiden Seiten. Nach seiner Ansicht kann die Bundeswehr ihre sogenannte Friedensstärke sofort von 490.000 auf 300.000 oder auch auf 250.000 Soldaten reduzieren. Damit, so Schmähling, wäre die Planung für den „Verteidigungsfall“, in dem die Bundeswehr 1,34 Millionen Mann mobilisieren könnte, noch gar nicht berührt. „Lediglich die Mobilisierungsphase würde entsprechend länger dauern.“ Das sei aber völlig unproblematisch, da kein Mensch mehr von einem möglichen Überraschungsangriff der Warschauer -Pakt-Staaten ausgehe. „Der Warschauer Pakt ist politisch handlungsunfähig.“
Aus denselben Gründen sei auch die Verkürzung des Wehrdienstes auf 12 Monate, den der Ministerrat der DDR für die NVA bereits beschlossen hat, in der Bundeswehr sofort möglich. Die Dauer des Wehrdienstes, so Schmähling, werde derzeit nicht von der notwendigen Ausbildungszeit bestimmt, sondern von dem Ziel, die Sollstärke der Bundeswehr bei mindestens 420.000 Mann zu halten.
Im Moment wird nach Auffassung des Admirals „das Grundübel der Bundeswehr“ besonders deutlich. „Die Bundeswehr ist seit ihrer Gründung nichts anderes als ein Baustein der Anti -Warschauer-Pakt-Koalition. Mit dem Ende des Kalten Krieges verliert die Bundeswehr in der bestehenden Form ihre Legitimation.“ Es sei deshalb notwendig, jetzt einen anderen Bezugsrahmen zu schaffen. Dasselbe gelte für die Stationierung fremder Truppen in der BRD und in der DDR. Unter den veränderten politischen Bedingungen sei, so Schmähling, ein Abzug der Stationierungstruppen anzustreben. „Bis 1990 ist deren Rückzug auch realistisch.“ Die Bundesregierung müsse nur einmal anfangen, mit den Alliierten wirklich zu verhandeln. „Das hat noch kein Bundeskanzler bislang getan.“
Schmähling räumte auch ein, daß die Nato-Truppen in ihrer bisherigen Konzeption entgegen offiziellen politischen Beteuerungen durchaus als Angriffsarmee einsetzbar sind. Deshalb sei ein Modernisierungsstopp für „hochmobile“ und damit immer auch offensive Waffensysteme „vernünftig“. Das gelte auch für den geplanten „Jäger90“. Es gehe jetzt nicht darum, neue Abwehrflugsysteme zu entwickeln, sondern die Angriffsflugzeuge auf beiden Seiten wegzuverhandeln.
In der anschließenden Diskussion stellte der Vertreter der Nationalen Volksarmee, Prof.Gonnermann von der Ostberliner Humboldt-Universität, dies in den Mittelpunkt: Ein Modernisierungsstopp sei fast die wichtigste Frage, da eine Truppenreduzierung mit gleichzeitiger Effektivierung der Waffensysteme eine Abrüstung nur vorgaukele. Gonnermann plädierte für ein Umdenken in der Militärpolitik sowohl in der DDR als auch in der BRD. Wir müssen uns aus der Vormundschaft der beiden „großen Brüder“ lösen uund unabhängig von den Wiener Verhandlungen über die Reduzierung konventioneller Waffen weitreichende Zeichen setzen. Nur so sei eine Entmilitarisierung Europas in den kommenden zehn Jahren zu erreichen.
Der ursprünglich für Gonnermann eingeladene Redner, Generalmajor Rolf Lehmann von der Nationalen Volksarmee, erschien nicht, da angeblich die Westalliierten einen Auftritt des DDR-Generals in West-Berlin abgelehnt hätten. Dies wurde von einer Sprecherin der derzeit federführenden Briten dementiert.
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