FDP für Anerkennung der polnischen Westgrenze

Dreikönigstreffen der Liberalen: Deutschlandpolitik wird Hauptthema im Wahlkampf / Für staatliche Einheit in vereintem Europa / Genscher fordert Überführung der Militärbündnisse in „Abrüstungsgemeinschaft“ / Landes-FDP will Wehrdienstverkürzung und das Aus für Jäger 90  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

Mit einem Bekenntnis zur Wiedervereinigung und der Forderung nach Anerkennung der polnischen Westgrenzen endete gestern das traditionelle Dreikönigstreffen der Liberalen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Im Mittelpunkt des Wahlkampfjahres 1990 steht für die FDP die Deutschlandpolitik. In Stuttgart wurden dazu die Positionen abgesteckt: das Recht der Deutschen auf staatliche Einheit, die Überwindung der deutschen Teilung und die Integration in einem vereinten Europa.

Außenminister Hans-Dietrich Genscher dominierte uneingeschränkt das Schaulaufen der FDP-Parteispitze. Genscher machte deutlich, worum es den Liberalen in der deutschen Frage geht. Die „deutsche Einheit“ könne nicht „im nationalen Alleingang“ gesucht werden, sondern nur innerhalb eines vereinten Europas erfolgen. Gebietsansprüchen jenseits der Oder-Neisse-Grenze erteilte der Außenminister eine glatte Abfuhr. „Wer sich die deutsche Haltung zur polnischen Westgrenze offenhalten will, der schlägt das Tor zur deutschen Einheit zu“, sagte Genscher. In seiner Rede setzte er sich auch für eine klare Linie in der Außen- und Sicherheitspolitik ein. 1990 müsse „das Jahr der Abrüstung“ werden. Als Reaktion auf den Demokratisierungsprozeß in den Staaten des Warschauer Pakts forderte Genscher eine „Abrüstungsgemeinschaft“: „Wenn die Mauer aus Steinen fällt, dann müssen auch die anderen Mauern abgebaut werden: die Mauern aus Raketen, aus Panzern und Kanonen.“ Nato und Warschauer Pakt dürften „nicht bei der Konfrontation“ stehenbleiben; die Bündnisse sollen „in einen Verbund gemeinsamer, kollektiver Sicherheit“ überführt werden. Neben deutlichen Abrüstungsschritten bei konventionellen, strategischen und chemischen Waffen machte Genscher sich auch für einen Verzicht auf die Stationierung neuer nuklearer Kurzstreckenraketen und für eine Reduzierung der Waffenexporte in die Dritte Welt stark.

Erste konkrete Beschlüsse zur Abrüstung hatte am Freitag bereits die baden-württembergische FDP gefaßt: die Mehrheit des Landesparteitags fordert den unverzüglichen Ausstieg aus dem Projekt „Jäger 90“ und die Reduzierung des Wehrdienstes auf zwölf Monate.

Garant für die FDP auf einem derartigen Kurs ist freilich der Außenminister selbst. Und weil sein Arbeitsfeld auch das zentrale Wahlkampfthema bleiben dürfte, steht Genscher weiter im Rampenlicht seiner Partei. Um ihn herum suchen die Freidemokraten ihr Profil. Ganz in der Tradition liberaler Wirtschaftspolitik steht dabei Wirtschaftsminister Helmut Haussmann. Dieser scheint von Unternehmensfusionen vorerst genug zu haben: Einem Zusammenschluß der Handelsriesen Metro und Asko wird der Wirtschaftsminister nicht zustimmen. Haussmann macht sich nun wieder für den Mittelstand stark auch in der DDR. Haussmann legte dazu einen Drei-Stufen-Plan vor, der Gewerbefreiheit, ein Investitionsschutzabkommen und die Beseitigung des Außenhandelsmonopols verlangt. Haussmann machte auch klar, daß die „Finanzierung eines neuen Sozialismus“ durch die Bundesrepublik nicht in Frage komme. Die Leitlinien seiner Wirtschaftspolitik hierzulande sind von mehr Flexibilität bestimmt: Wenige Tage vor dem Beginn der Tariverhandlungen forderte er, „den Zug der Lemminge in die 35-Stunden-Woche zu stoppen“. Haussmann zog auch das Vermittlungsmonopol der Arbeitsämter in Zweifel, das den neuen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sei.

Daß die Liberalen sich im Bundestagswahljahr an der Seite der CDU sehen, liegt nicht nur an der Zustimmung zum 10 -Punkte-Katalog des Kanzlers. An Dreikönig wurde sichtlich mit Kritik am Koalitionspartner gespart. Heftig attackiert wurde dafür der Kanzlerkandidat der SPD in spe, Oskar Lafontaine. Dem Grafen Lambsdorff scheint in diesem Jahr der Parteipart fürs Grobe zuzufallen: polemisch warf er dem saarländischen Ministerpräsidenten vor, dieser diffamiere „kaltschnäuzig nationale Verantwortung als Nationalismus“. Lafontaine wolle der Bundesrepublik einen „neuen glitzernden Talmi-Sozialismus“ bescheren.