: Späte Rache an Schnitzler
■ S T A N D B I L D
(Sat1, 22 Uhr, Sonntag) Karl-Eduard von Schnitzler nicht nur in der 'Titanic‘, sondern auch in der West-Glotze, da kommt Freude auf. Leider verging sie uns ziemlich schnell. Die beiden Moderatoren Heidi Schüller und Florian Fischer-Fabian schafften es gemeinsam mit den Gästen Töpfer, de Maiziere, Schily, Rudorf ('Bild'-Zeitung), Herzberg (SDP) mühelos, die spannende Konstellation durch ihr moralisierendes Entlarvungsgeschwätz gepaart mit dummen Fragen und ständigen Unterbrechungen zu verspielen. Man lädt Schnitzler ein, um ihn dann zur Unperson zu erklären und ihn rüde -oberlehrerhaft zur Sau zu machen. Die Motive dieses Mannes, seine heutige Haltung, die Verarbeitung seines historischen Irrtums interessierte die Runde nicht. Sie wußte längst Bescheid, nur wußte offenbar niemand mehr, warum man Schnitzler überhaupt eingeladen hatte. Bestrafung statt Auseinandersetzung. Er konnte keinen Satz zu Ende sprechen, ohne Proteststürme der geifernden Runde zu provozieren.
Das Motto gab der 'Bild'-Kolumnist Rudorf aus: „Wir konnten Sie 30 Jahre lang nicht unterbrechen, jetzt ist Schluß.“ Damit war der schwarze Kanalarbeiter zum Abschuß freigegeben, zumal die beiden lackierten Moderatoren gar nicht daran dachten, ihren Gast noch zu Wort kommen zu lassen. „Faschist“ (dreimal), „Dreckschleuder Honeckers“, „Bauchredner Ulbrichts“, hieß man ihn und forderte ihn auf, den Talk-Turm wegen „ideologischer Umweltverschmutzung“ (Töpfer) zu verlassen. Von Saar-Wahlkämpfer Töpfer kam ansonsten nur heiße Luft, die aber gut entschwefelt. Der Lichtblick hieß Schily, aber auch der wollte statt Auseinandersetzung Schnitzler lieber zehn Jahre ins Kloster schicken. „Es hat sich ausgeschnitzlert“, trompetete schließlich Fischer-Fabian triumphierend dazwischen, schnitt dem bösen Gast das Wort ab, um sich anderen Themen und anderen Gästen zuzuwenden.
De Maiziere, der in seiner Ost-CDU als Wurmfortsatz der SED jahrzehntelang mitschwamm und das Maul nicht aufbekam, mimte den Oberdemokraten. Er konnte die Gegenwart Schnitzlers nicht mehr aushalten und verließ unter Protest die Runde.
Bei soviel Ignoranz und Verlogenheit bekam man schon wieder Sympathien für den Überzeugungstäter Schnitzler, der immerhin den Mut hatte, sich zu stellen. Daß dieser Mann tatsächlich an seinen Staat und seinen Sozialismus geglaubt hat (und immer noch glaubt), daß er nicht nur 30 Jahre lang irgendwelchen „Mist erzählt“ (Schily) hat, sondern seine Arbeit ganz im Sinne der alten Parteidisziplin und historischen Notwendigkeiten begriff, daß er diese Arbeit bis zuletzt als richtig begriff, obwohl er wußte, daß er log, das alles hatte die Talk-Runde entweder vergessen oder nie kapiert.
Manfred Kriener
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