Höherer Kredit-betr.: "Demokratische Verlangsamung", Kommentar von Ralf Fücks, taz vom 4.1.90

betr.: „Demokratische Verlangsamung“, Kommentar von Ralf Fücks, taz vom 4.1.90

In seinem Gastkommentar über den Blitzbesuch von Havel in München spricht Ralf Fücks vom Bundesvorstand der Grünen einen wichtigen Punkt grüner Internationalismuspolitik an: das Verhältnis der Grünen zu den unabhängigen, demokratischen und ökologischen Bewegungen im Osten.

Nach einem zweimonatigen Aufenthalt in der Sowjetunion, in dessen Verlauf ich viele Kontakte mit VertreterInnen der sowjetischen Ökologiebewegung geknüpft habe, kann ich Ralf Fücks Beobachtung nur bestätigen, daß die Grünen in Osteuropa höheren Kredit haben als zu Hause. Diesen Vertrauensvorschuß der Unabhängigen in Osteuropa in konkrete internationale Politik umzusetzen und zusammen mit den ökologischen und demokratischen Bewegungen im Osten eine international vernetzte Ökologiebewegung aufzubauen, scheint mir eine dringende Aufgabe von Grünen und Ökologiebewegung hier zu sein. Gerade jetzt ist es erforderlich, der wachsenden Zusammenarbeit der westlichen und östlichen Industrie eine international gut vernetzte Ökologiebewegung gegenüberzustellen, die für die Umweltzerstörer aus Ost und West ein ernstzunehmender gesellschaftlicher Kontrollfaktor ist.

Der „grüne“ Volksdeputierte Alexej Kasannik, kein Mitglied im Obersten Sowjet, aber Mitarbeiter im Ökologieausschuß des Obersten Sowjets (das ist der Abgeordnete, der bereits in den Obersten Sowjets gewählt worden war, dann aber zugunsten von Jelzin auf seinen Sitz verzichtete), beispielsweise sagte mir, daß die UdSSR heute im Westen Industrieanlangen kaufe, die bei uns aus ökologischen Gründen nicht mehr genehmigungsfähig wären. Und gerade jetzt, unter den Bedingungen von Glasnost, so Kasannik, sei es doch möglich, daß wir, das heißt Ökologiebewegung Ost und Ökologiebewegung West, Strukturen schaffen, mit denen wir gemeinsam eine gesellschaftliche Kontrolle über deutsch-sowjetische Industrieprojekte ausüben könnten. In dieser Zusammenarbeit, so Kasannik, könnten wir gegenseitig über die Aktivitäten einer entsprechenden Firma Informationen austauschen und dann, falls es ökologisch notwendig sein sollte, auch gemeinsame Aktionen machen.

So wie bei Kasannik habe ich häufig bei VertreterInnen sowjetischer Ökologiebewegungen erlebt, daß sehr große Hoffnungen und Erwartungen in die westliche Ökologiebewegung und speziell in die bundesdeutschen Grünen gesetzt werden. Diese Erwartungen nicht zu enttäuschen, die Ökologiegruppen im Osten technisch, moralisch und politisch zu unterstützen, scheint mir eine wichtige Aufgabe von Grünen und Alternativbewegung in der BRD zu sein.

Bernhard Clasen, Mönchengladbach 1

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