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Die DDR wird überrollt

Die gesamtdeutsche Träumerei droht im Verkehrschaos unterzugehen  ■ K O M M E N T A R

Kurz nach Weihnachten meldeten die Verkehrsnachrichten des Hessischen Rundfunks Ungewohntes: Stau auf der DDR -Landesstraße vor Eisenach. Nicht nur vor, sondern auch in Eisenach stand der motorisierte Verkehr, gesamtdeutsch gemischt aus Trabis, Daimlern und stinkenden Diesel-LKWs. Die Luftschadstoffe in den Straßen müssen weit jenseits der Grenzwerte für einen Smogalarm gelegen haben.

Bald werden Berliner und Westdeutsche, angelockt vom „freien Eintritt“ und günstigen Preisen, nicht nur in die grenznahen Gebiete, sondern auch an den Strand von Rügen oder bisher unberührte Seen in Mecklenburg drängen. An schönen Frühlingswochenenden wird sich die Zahl der stinkenden Auspuffe in der DDR schlagartig verdoppeln. Die chaotischen Zustände bei Salzburg an Urlaubswochenenden im Sommer mögen als Vorbild dienen. Aber in Österreich steht der Fahrzeugflut eine unter hohen ökologischen Opfern ausgebaute Infrastruktur gegenüber - und Österreich hat keine auf den Besuch des unmittelbaren Umfelds lauernde Exklave in der Mitte.

Die DDR unterschätzt bisher, was auf sie zukommt. Einen Lichtblick bilden allein erste Konzeptentwürfe einiger oppositioneller Öko-Gruppen, die den Ausbau grenzüberschreitender Bahnverbindungen und des veralteten öffentlichen Verkehrssystems in der DDR fordern, ehe es zu spät ist. Aber ohne Unterstützung der Hauptverursacher, nämlich der Menschen aus dem Westen, wird es nicht gehen.

Das drohende Chaos in den DDR-Städten läßt sich nur aufhalten, wenn alle sich beschränken. An einigen Schwerpunkten potentiellen Autotourismus wird nur die totale Sperrung der inneren Stadtbereiche oder ganzer Städte den Einwohnern helfen. Diese freilich sehen es bisher anders. In der Bundesrepublik diskutierte Forderungen nach Aussperrung des Autoverkehrs stoßen vielfach auf Unverständnis. Noch hält sich die Überzeugung, Autos aus der Bundesrepublik seien „sauber“. Vor diesem Hintergrund wird auch der anlaufende Import von Gebrauchtwagen aus der Bundesrepublik allgemein begrüßt - als ob damit die Belastung kleiner würde.

Die Debatte um die Abgase aus DDR-Zweitaktmotoren scheint auch die Forderung nach Veränderungen in der Bundesrepublik zu blockieren. Ist der Ozon-Smog des letzten Sommers denn aus den Trabi-Auspuffen gekommen? Hatten wir nicht gerade gelernt, daß ein Katalysator kein „umweltfreundliches Auto“ produziert? EG-Prognosen gehen nicht von einer Senkung, sondern von einer europaweiten Steigerung der verkehrsbedingten Luftschadstoffe aus - auch ohne die zusätzliche massive Automobilisierung der DDR. Unter dem Stichwort „Hilfe für die DDR“ wurde in den letzten Tagen auch der „Ausbau des Straßennetzes“ genannt - mehr Straßen haben noch stets mehr Verkehr und mehr Umweltzerstörung gezeugt. Mittelfristig wird eine der Hauptfolgen der Veränderungen in der DDR ein erhöhter Kraftstoffverbrauch sein. Noch ist dort der Anteil der Bahn am Güterverkehr viel höher als in der Bundesrepublik. Vermutlich werden nicht wir von der DDR lernen, wie man das macht, sondern vielmehr unsere Verhältnisse dorthin exportieren. Die 42-Tonner der EG werden die Innenstädte der DDR traktieren - und die Frage aufwerfen, ob die schlechterhaltene Bausubstanz zwecks Straßenerweiterung nicht besser gleich ganz verschwindet.

Gegensteuern muß die - nach Pferdestärken gerechnet stärkere Seite, denn wir geben ja auch das Beispiel für viele Wünsche in der DDR. Der Senat von Berlin könnte beginnen und die Flut von Autos in die DDR eindämmen - so scheint es sinnvoll, an den Grenzübergängen Sonderspuren für Busse einzurichten und die Nachbarn bei Sperrmaßnahmen um ökologisch wertvolle Gebiete herum zu beraten. Bestimmte Regionen - etwa an der Ostsee - sollten möglichst nur mit Bus oder Bahn zugänglich gemacht werden.

Natürlich kann jede Förderung einer umweltverträglicheren Verkehrspolitik in der DDR nur glaubwürdig sein, wenn diese auch in der Bundesrepublik realisiert wird. Viele Umweltschützer üben sich im Moment in falscher Zurückhaltung gegenüber der drohenden gesamtdeutschen Umweltkrise. Mit Einmischung oder gesamtdeutschem Getue hätte das nichts zu tun. Die ökologischen Probleme sind sowieso grenzenlos. Eine deutsche Einheit liegt in diesem Zusammenhang geradezu auf der Hand: bei den Tempolimits auf Autobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen - auf dem Niveau der DDR natürlich.

Helmut Holzapfel, Verkehrsplaner (Dortmund)

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